Fünf Kopeken
das offenbar auch neu war, sowohl in Berlin als auch in Babsis WG , noch dazu »eine grandiose Frisöse!«, wie Babsi rief und erneut ihr Haar tätschelte.
»Noch nicht wirklich«, wehrte das Mädchen ab, »ich bin in der Ausbildung, aber ich freu mich immer, wenn mich jemand ein bisschen an sich üben lässt.«
»Ist das nicht toll? Frisöse? Auf die Idee hätt ich mal kommen müssen«, rief Babsi, »jeden Tag lernst du neue Leute kennen, darfst die ganze Zeit quatschen und am Ende wirst du sogar dafür bezahlt! Das ist doch der geilste Beruf der Welt!« Sie schaute zur Seite. »Findst du nicht?«
Die Augenbrauen meiner Mutter krochen in einander entgegengesetzte Richtungen, wie ein in der Mitte zerhackter Wurm. »Mmm«, sagte sie.
»Ach du«, rief Babsi und stieß sie gegen die Schulter, »kann ja nicht jeder seine Erfüllung darin finden, sich total zu verausgaben.«
»Ist schon manchmal ein bisschen öde«, sagte Jule etwas verlegen, »aber man hat halt auch noch Zeit für andere Sachen.«
Die Brauen rannten noch weiter auseinander. »Was für Sachen denn?«
Jule zog die Schultern nach oben. »Ausruhen. Weggehen. Freunde treffen. Gerade in Berlin gibt’s doch immer tausend Dinge zu tun.«
»Und ob!«, rief Babsi und setzte zu einer weiteren Lobeshymne auf die Stadt an. Die meine Mutter natürlich mit einer weiteren Hasstirade beantwortete. Die sie mir gegenüber dann natürlich auch noch mal eins zu eins wiedergeben musste, einschließlich der Einwürfe Arnos, der sein Bestes gab, sie in ihrem Berlin-Hass noch zu übertreffen. Was ihr natürlich Anlass bot, sich auch über ihn mal wieder gründlich aufzuregen.
Ansonsten habe ich über die nächsten Stunden nicht viel behalten, auch wenn ich mir sicher bin, dass meine Mutter mir auch den Rest des Gesprächs erzählt hat. Aber damals schien es mir, als diene ihr das Ganze nur als Gelegenheit, um meinem Vater möglichst viele, in ihren Augen völlig lächerliche, Aussagen in den Mund zu legen. Und dafür wollte ich ihr einfach nicht das Publikum bieten. Ich ließ sie reden, ohne wirklich zuzuhören, merkte nicht, dass sie mit den endlosen Beschreibungen seiner Anhänglichkeit weniger ihn als vielmehr ihre eigene Unruhe bloßstellte. Dass ihr Geätze nur ein Puffer war, um den drohenden Aufprall ein wenig abzufedern.
Erst als sie die Bar schon verlassen hatten und durch die kalte Nacht nach Hause liefen, als sie bereits am Dönerstand vorbei waren und auf ihre Haustür zugingen, ließ sie Arno plötzlich so abrupt stehen bleiben, dass auch ich wieder aufhorchte.
»Wir haben gar nicht richtig angestoßen!«, rief er und warf die Hände in die Luft, schaute nach rechts und links, bevor er meine Mutter entschlossen über die Kreuzung führte.
»Ach lass doch jetzt!«, sagte sie.
»Nichts da«, erwiderte er und lief mit schnellen Schritten auf ein schummrig beleuchtetes Fenster zu. pätkauf blinkte es königsblau über dem Schaufenster, durch das man die Bierkästen sehen konnte, die sich wie Leitplanken in zwei langen Reihen durch den Laden zogen. Hinter dem Tresen saß ein kleiner Mann mit ziemlich wenigen, ziemlich langen Haaren, die er seitlich über den Schädel gekämmt hatte, und schaute in einen Fernseher. Als sie reinkamen, sprang er auf und sagte »Gtnabend«, als sei er eins der Mainzelmännchen.
Er machte einen kerzengeraden Rücken und ein rundes Gesicht. Seine Arme und der Großteil des Bauchs steckten in einem geringelten Wollpullover, der aussah, als würde er kratzen.
Arno steuerte auf ein Regal zu.
»Was meinst du? Piccolo oder eine richtige?«, fragte er und zog eine Flasche aus dem Regal.
»Ne kleine reicht doch!«, sagte meine Mutter. Aus dem hinteren Teil dröhnte Musik.
»Vielleicht haben die ja auch Champagner«, rief Arno und lief weiter in den Laden. Meine Mutter rückte die Flasche gerade und trottete hinter ihm her.
Am Ende des Gangs war ein Durchgang zu einem zweiten Raum mit ein paar Telefonkabinen, in einer davon eine Frau mit Kopftuch, die sich so weit über den Hörer beugte, als müsse sie ihn unter sich verstecken. Daneben stand ein Flipperautomat, noch ein bisschen weiter ein Computer, vor dem sich zwei junge Männer abwechselnd in die und zur Seite stießen. Der eine hatte zwei Silberstecker im Ohr, an denen er ständig herumdrehte. Von einem dritten, der auf einem Bürostuhl saß, waren nur die Hände zu sehen, die auf der Tastatur tippten. »Bite nicht zu stöhren, ruhe von Wertekunden!« stand mit Bleistift auf
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