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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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zu warten, meinste nicht?«
    Ich biss mir auf die Lippe. »Ich wollte nur wissen, wie’s dir geht.«
    »Hervorragend!«, sagte sie höhnisch und stöhnte wieder. Sie drehte den Kopf von mir weg, so, als wolle sie, dass ich sehe, dass sie den Kopf von mir wegdreht, fast schon in die Matratze hinein. Die Sehnen am Hals traten heraus. Sie atmete stoßweise, schob den Arm unter die Hüfte, zog ihn ein paar Sekunden später wieder hervor.
    Ich merkte, dass ich noch immer am Fenster stand, die Augen auf dem sich unruhig windenden Körper, aber doch noch in sicherem Abstand, wie wenn man im Zoo ein wildes Tier beobachtet. Nur dass ich aus irgendwelchen Gründen auf die falsche Seite der Scheibe geraten war.
    »Willst du ein bisschen weitererzählen?«, fragte ich.
    Sie rollte sich auf die Seite, schob die Decke unter die Hüfte, versuchte sich in eine bequeme Lage zu bringen, aber bequem gab es schon lange nicht mehr. »Was soll ich denn erzählen?«
    »Dann nicht; wie du willst«, sagte ich. Ich hob das Kissen auf und legte es zurück aufs Bett.
    »Mein Gott, das war doch auf dem dreckigen Boden!«, rief sie und sah mich an, als hätte ich einen Klumpen Hundescheiße aufs Laken geschmissen.
    Ich zog erschrocken das Kissen hoch.
    »Jetzt ist es auch egal«, stöhnte sie und schüttelte den Kopf.
    Ich stand neben ihr, das Kissen in der Hand, und wusste nicht, was ich damit machen sollte, nahm es endlich unter den Arm und ging zur Tür. Ich war schon halb draußen, als sie sich ein Stück aufrichtete. »Und fang endlich mit dem Schreiben an«, rief sie, »ich geb mich nicht als Ausrede her, damit du dich vor der Arbeit drücken kannst. Wie soll das denn erst bei einem ganzen Buch werden, wenn du dich schon für einen kleinen Artikel so anstellst?«
    Ich weiß nicht mehr, ob ich damals wütend war. Wahrscheinlich schon. In meiner Familie hat man’s nicht so mit mildernden Umständen. Erinnern kann ich mich allerdings nur noch an die Warterei, darauf, dass es endlich vorbei sein würde, dass sie sich wieder abgeregt hätte.
    Ich ging zurück ins Arbeitszimmer, strich wieder ein paar Sätze an, schaute aus dem Fenster, auf meine Hände. Begann endlich zu tippen. Nach jedem dritten Absatz unternahm ich einen Alibigang zur Toilette oder in die Küche, um zu hören, ob sich im Schlafzimmer etwas tat. Erst als ich den Text zu einem, dem darf man das gar nicht nennen, Ende gebracht hatte, traute ich mich, ihre Tür einen Spalt zu öffnen.
    Sie lag jetzt auf der anderen Seite und rührte sich nicht, schlief vielleicht sogar. Erst als ich einen Schritt ins Zimmer machte, sah ich, dass ihre Augen offen waren. Sie sah zum Fenster, obwohl sie unmöglich etwas erkennen konnte, ohne ihre Brille, die ordentlich zusammengeklappt neben dem noch immer randvollen Wasserglas lag.
    Ich machte kehrt und setzte mich nebenan ins Wohnzimmer, blätterte in einem der Bücher, die ich ihr aus ihrer Wohnung hatte holen müssen, hörte sie plötzlich nach mir rufen.
    »Haben wir noch was von dem Kuchen, den du von der Oma gebracht hast?«, fragte sie, als ich ins Zimmer trat und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr es stank. Schon wenn ich da war, hatte sie Mühe, ihre Blähungen einigermaßen zu kontrollieren. Aber sobald ich sie allein ließ, versuchte sie nicht mal mehr, sich zu beherrschen. Ihre Verdauung war völlig aus dem Ruder. Umso mehr wunderte ich mich, dass sie jetzt ausgerechnet etwas Süßes wollte.
    »Klar. Sicher. Jede Menge«, sagte ich und lief schnell in die Küche, bevor sie es sich anders überlegen würde. Ich lud eins der feinst säuberlich vorgezirkelten Dreiecke auf den Teller und zerteilte es mit der Gabel in mundgerechte Stücke. Während sie kaute, fasste sie sich immer wieder an den Kiefer, aber sie aß fast den ganzen Teller leer. Danach ließ sie sich anstandslos den Mund abwischen und sogar eine Tablette in die Hand legen. Ich hielt ihr das Wasserglas hin, damit sie die blassrosa Perle herunterschlucken konnte und dachte schon, ihre Wutreserven seien erschöpft.
    »Könnt ich jetzt wieder mein Kissen haben?«, fragte sie, und es klang tatsächlich wie eine Frage. Ich lief hinaus und holte es, aber bis ich mit dem neuen Bezug zurückkam, war sie schon eingeschlafen. Die Decke hatte sie zu einer Wurst zusammengedrückt und hielt sie zwischen den Armen. Sie sah fast friedlich aus.
    Am nächsten Morgen wirkte sie ruhiger als sonst, wenn auch irgendwie abwesend. Selbst beim Umbetten wehrte sie sich nicht, obwohl

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