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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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ihr das sonst verhasst war, diese Geste der Schwäche, ihr Arm um meinen Hals, das Auf-den-Stuhl-Hieven und dann dort Ausharren, während ich die völlig durchnässten Laken abzog. »Geht schon«, murmelte sie, während ich mich entschuldigte, dass es so lange dauerte.
    Aber am Mittag fand sie einen neuen Grund, einen Streit vom Zaun zu brechen, und am Abend einen nächsten. Das ist nicht besonders schwer, wenn man mit einem hühnereigroßen Karzinom ans Bett gefesselt ist. Ihr Rücken tat weh, ihre Hüfte tat weh, und das alles nur, weil ich versäumt hatte, eine anständige Matratze zu kaufen, ihre Zähne taten weh, die Luft war stickig, im Fernseher, den ich ihr ins Schlafzimmer geschoben hatte, lief nur Unsinn, die Fernbedienung war kaputt. »Die Menschen werden wirklich immer dümmer«, sagte sie, als ich die Batterien rausfriemelte, die ich versehentlich falsch herum eingelegt hatte.
    Wenn der Arzt kam, riss sie sich eine halbe Stunde zusammen, aber danach schlug der angestaute Zorn umso heftiger über die Dämme. Wenn ich es nicht mehr aushielt und sie eine Weile allein ließ, lag sie einfach nur da, kratzte sich an der Hüfte, im Nacken, am Hals, bis sich die Hautschüppchen unter ihren Nägeln sammelten, während ihr Blick ins Leere ging. Oder sie sah doch ein bisschen fern, ohne Brille. Die reibe ihr so hinter den Ohren, sagte sie. »Es reicht, wenn ich hör. Das ist schon schlimm genug.«
    Und dann war sie eines Morgens plötzlich bereit.
    »Hast du Schmerzen?«, fragte ich, als ich sah, dass sie wieder ihr Hustensaftgesicht machte.
    »Der Arno war schon vor mir wach«, sagte sie statt einer Antwort.
    »Was?«, fragte ich, »hat er angerufen?«
    »Nicht heut«, sagte sie ungeduldig, »da, an dem Morgen, nachdem ich den Sekt verschüttet hab.«
    Ich ließ den Lappen sinken, mit dem ich sie gerade gewaschen hatte.
    »Und Kopfweh hatte ich natürlich auch nicht«, fuhr sie fort, so als wären nur ein paar Sekunden, nicht Tage seit dem Ende des letzten Satzes vergangen.
    Ich hielt ihr das Nachthemd so hin, dass sie den Arm hineinstecken konnte. Aber ihr Körper war steif. Wie eine Schaufensterpuppe ließ sie sich von mir anziehen. Erst als ich den letzen Knopf geschlossen hatte, sah sie mich an.
    »Das hat mich verrückt gemacht«, rief sie und presste meine Hand zusammen.
    Er war schon aufgestanden und hatte Frühstück gemacht. Aus der Küche drang Geschirrklappern, das von der besonders nervtötenden Sorte, das dem noch im Bett Liegenden verborgen bleiben will und darum mit Sicherheit nicht verborgen bleiben wird, das sachte Aus-dem-Regal-Ziehen der Teller, die vor lauter Angst, einander zu berühren, so zu zittern beginnen, dass sie schließlich ganz aus den Fingern springen, auf die Theke krachen, die Zuckerdose mit- und den Löffel darin herausreißen, jeweils von einem erschrockenen Zischlaut gefolgt, weil es hssss, verdammt noch mal, schon wieder passiert ist, die scheiß Kanne aber auch.
    Meine Mutter linste auf die Uhr, aber nein, es war noch vor der Zeit, noch nicht mal kurz. Sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Tat es aber natürlich doch. Und meinem Vater sowieso. Angeblich, weil er sie geweckt hatte  – »als würd ich nicht eh zu wenig Schlaf kriegen, stiehlt er mir auch noch die letzte halbe Stunde«  – , tatsächlich, weil er sie hatte wecken können, weil sie nicht schon längst selbst wach geworden war, ruhelos im Wissen um all das, was an ungemachten Häkchen auf sie wartete.
    Aber jetzt war es halt doch passiert: Er war auf. Sie nicht. Daran ließ sich nichts mehr ändern. Der Tag war im Eimer, noch ehe er begonnen hatte, aber der Eimer noch lang nicht voll, da blieb noch jede Menge Platz für neue Fehler, auch wenn meine Mutter das zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht wusste. Gähnend schob sie die Hand auf die Augen und drehte sich zur Wand, Gefahr erkannt, aber nichts, überhaupt gar nichts gebannt, zog sogar die Decke noch mal ein Stück über den Kopf, ehe sie sich wie eine Nacktschnecke zusammenrollte, »dabei ging sogar schon die Sonne auf!«, wie sie jammerte und dabei so bußfertig schaute, als habe sie gerade gestanden, die Katze überfahren zu haben.
    Sie hob den Kopf zu mir und atmete schwer.
    »Aha«, sagte ich, weil ich wohl etwas sagen sollte. Was sie offenbar als »Wie konntest du nur? Schande auf dein Haupt« verstand. Auf jeden Fall begann sie selbiges wie wild zu schütteln, während sie ihre Schläfen zwischen Daumen und Zeigefinger einkeilte.
    »Ich weiß«, sagte

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