Fünf Kopeken
sie mehrfach, und dann in etwa genauso oft, »ich weiß ja auch nicht«, was sie sonst sicher auch ein bisschen lustig gefunden hätte. Aber sie war schon wieder so tief in diesen Entschuldigungs-/Erklärungs-/Erläuterungssumpf eingesunken, dass sie gar nicht merkte, dass mir ihre Selbstzerfleischung Spaß machte. Vor allem nachdem sie mich tagelang mit ihren Launen gequält hatte. Wie oft hat man schon mal die Gelegenheit, seiner fehlerlosen Mutter beim mea culpa zuzusehen?
Händeringend blätterte sie das Synonymregister durch, um ihrer »Disziplinlosigkeit!« und »Faulheit!« noch ein paar weitere -keits und -heits zur Seite zu stellen. Ich lehnte mich zurück und ließ sie weiterreden, bis sie sich so niedergemacht hatte, dass eigentlich höchstens noch mein Vater drunter durchpasste, »der Idiot«, dem natürlich nicht eingefallen sei, »einfach die Scheißtür zuzumachen«, wie sie endlich rief, geradezu erleichtert, dass sie angesichts seiner »Rücksichtslosigkeit!« oder vielleicht besser »Blödheit!!!« mit ihrem Brustgehämmere wieder aufhören konnte.
Sie drehte den Kopf zur Seite, vielleicht um sich vor meiner Missbilligung zu verstecken, die natürlich in Wahrheit nur ihre eigene war. Vielleicht weil ihr die Erinnerung so deutlich vor Augen stand, dass sie die Szene automatisch nachstellte, die mühseligen Schluckbewegungen, als sei ihr ganzer Mund von morgendlichem Schleim verkleistert, die Finger auf Stirn und Nase, um die Augen vor dem Licht zu schützen, das unter dem Vorhang hindurchdrängte, so hell, dass man es schon in einem ausgefransten, weißen Streifen an der gegenüberliegenden Wand sehen konnte.
Die Klospülung ging. Dann ächzten die Dielen, denn das mit der Partitur konnte Arno sich natürlich nicht merken. Er schob die Tür mit den Fingerknöcheln, dann aber natürlich: quietschend, auf. Trippelte zum Bett. Ein Luftzug strich über ihre Beine. Die Matratze rutschte unter ihr weg. Seine Füße waren eiskalt.
Meine Mutter drückte ihr Gesicht in die Ritze. Stellte sich tot. Aber da hatte sie die Rechnung ohne ihren Körper gemacht. Erst geriet ihr Atem aus dem Tritt, dann kam der Arm dazu, der trotz aller Ermahnungen beiseite zuckte, das Haar, das ihr so an der Nase kitzelte, dass sie es sich schließlich aus dem Gesicht wischen musste und dabei vielleicht sogar ganz kurz blinzelte, sodass Arnos Arm endlich über sie hinweggriff.
»Guten Morgen«, flüsterte er. Seine Lippen streiften ihren Nacken.
Meine Mutter streckte sich auf die Bettkante zu. Er hinterher. Sein Becken rieb an ihrem Po. Die Härchen auf seinem Arm, der sich wie ein Gebirge unscharf vor ihren Augen erhob, schimmerten golden.
Sie warf einen Blick auf den Wecker. Aber von dem war ebenfalls keine Unterstützung zu erwarten.
»Meinetwegen«, sagte sie, ob nun nur zu sich oder wirklich laut, war nicht ganz klar, und beugte ihren Oberkörper ein Stück nach vorne, um Arno die Arbeit zu erleichtern.
Aber mein Vater dachte natürlich wie immer nur an das eine: an Liebe. Die Hand um ihr Kinn legend drehte er ihren Kopf zu seinem und sah sie mit tellergroßen Augen an, ließ seine Nase über ihre Stirn streichen, über die Augenlider, die Wangen, begann endlich ihr Gesicht mit spitzlippigen Küsschen zu umrunden, so leicht, als würde eine Fliege darüberlaufen. Erst als sie den Mund ein wenig öffnete, sodass er seine nachttrockene Zunge hineinstecken konnte, war er bereit, seine Hand unter ihr T-Shirt zu schieben.
»Jetzt nicht wirklich ablehnend«, aber auch nicht sonderlich interessiert, beobachtete meine Mutter das aufgescheuchte Tier, das unter dem dünnen Stoff hin und her rannte, einen Finger aus dem Ausschnitt steckte, sich zwischen ihren Beinen verkroch.
Sie griff hinter sich, weil: wenn schon, denn schon, berührte die Wölbung, die wie eine ausgeleierte Sprungfeder gegen ihren Rücken drückte. Seine Hand zog sich aus ihren Haaren zurück und riss stattdessen aufgeregt an seiner Schlafanzughose, dann an ihrer, hier natürlich nicht »riss«, sondern »lupfte«, »streifte ab«, ganz behutsam, ganz umsichtig, damit das Gummi auch ja nicht zurückschnalzte. Er fummelte an ihrem Po herum, schob ihr Knie nach vorne, damit sein Bauch zwischen ihren Beinen mehr Platz hatte. Es ging so leicht, dass sie nachtasten musste, um sicher zu sein, dass er auch wirklich in ihr drin war.
Der Rost knarrte. Sie schob den Kopf ein wenig über die Bettkante, um besser Luft zu bekommen, ließ den Blick durch den Raum
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