Fünf Kopeken
Sender findet, der ihm zusagt, und laut mitzusingen beginnt.
Die Sonne schiebt sich zwischen zwei Wolken durch und tunkt das Viereck in glänzendes Blauschwarz. Meine Mutter schirmt die Augen mit der Hand ab, schaut zu den Fenstern daneben, glaubt eine Sekunde, ein Gemälde mit einer Frau zu sehen, dann einen Schrank.
Merkt in der nächsten, dass es nur die gegenüberliegenden Fensterläden sind, die sich in der Scheibe spiegeln.
Sie presst die Handkante gegen die Stirn, lehnt sich noch weiter hinaus. Und fährt im nächsten Moment wieder zurück.
Sie wickelt eins ihrer Küchengummis um die Haare, wischt noch mal über die Bettdecke, bevor sie endlich zur Tür geht.
»At the Copa, Copacabana«, hört sie Arno singen, während sie den Flur entlangläuft.
Sein Kopf taucht in der Tür auf. In seinem Lächeln hängt ein Stück Petersilie. Er streckt die Hand aus, als würde er sie zum Tanz auffordern, zieht sie mit sich in die Küche, auf den Kühlschrank zu. Das Radio beginnt aufgeregt zu rauschen, bis er endlich die Milch gefunden hat und so albern vor ihr zurück zum Herd tänzelt, dass es kaum auszuhalten ist.
Meine Mutter macht sich los, rupft das Gummi aus ihrem Haar und wurschtelt es neu zusammen.
»Setz dich, setz dich«, ruft er und zeigt zum Tisch.
Auf dem Tresen neben ihm reihen sich Glasschälchen mit klein geschnippelten Zutaten, Zwiebeln, Tomatenwürfel, Grünzeugs, wie in einer Kochsendung.
»Ich muss doch los!«, sagt meine Mutter unwillig.
»Keine Sorge, ist so gut wie fertig«, ruft Arno und kippt die Pfanne ein wenig, sodass das flüssige Eigelb auf den Rand zutreibt. Er schüttet die Zwiebeln dazu, fummelt an den Wärmereglern herum. Über dem Herd raucht es wie aus einem Industrieschlot.
Meine Mutter setzt sich auf den Stuhl, auf dem sie gestern schon die halbe Nacht verbracht hat, lässt den Blick über den Tisch schweifen. Er hat sogar schon gedeckt, Messer rechts, Gabel links, Brotkorb in der Mitte, zwei weiße Teller auf Platzdeckchen. Sie hält eine der Servietten hoch, in deren Mitte ein Christstern prangt. »Sind die noch von der Weihnachtsfeier?«
»In de Nod frisst de Deufel Fliege«, ruft Arno lachend.
»Wenn schon, dann Deiwel «, sagt meine Mutter. Sie lässt die Serviette fallen. »Und Fliesche .«
Mein Vater lacht wieder, während er umständlich die Omelettes wendet.
Meine Mutter stützt das Kinn in die Hand. Sieht Arno beim Kochen zu, um nur ja nicht aus dem Fenster zu sehen. Er beginnt wieder zu singen, mal mit Barry Manilow, mal gegen ihn, leert die restlichen Schälchen in die Pfanne, reißt Schränke auf, zieht Gewürztütchen heraus, kommt endlich mit der Pfanne auf sie zu, in der ein fettig glänzender Lappen knistert. Er zieht eine Linie mittendurch und schubst ihr eine der beiden Hälften auf den Teller.
»Sonntagsfrühstück für die Dame«, ruft er und befördert die zweite Hälfte auf den anderen Teller. »Dann wollen wir mal!«
Er stellt die Pfanne ins Waschbecken und setzt sich meiner Mutter gegenüber, stopft sich seine Serviette in den Kragen. »Guten Appetit«, sagt er feierlich und beginnt sein Omelette mit schnellen Hieben in Dreiecke zu zerlegen. »Mmm«, macht er, während die Gabel in seinem Mund verschwindet, und noch mal beim Rausziehen, »mmm«, genau wie ein paar Minuten zuvor.
Aus dem Wasserhahn fällt ein Tropfen. Die Pfanne jault auf.
Meine Mutter nimmt ihr Besteck in die Hand, schneidet sich ein mikroskopisch kleines Stückchen ab und schiebt es in den Mund.
»Und?«, fragt Arno.
Meine Mutter hebt den Kopf. »Und was?«
»Wie schmeckt’s?«
Sie schaut ihn an, nimmt einen Schluck Wasser, behält ihn im Mund, als müsse sie erstmal über die Frage nachdenken. Sie fischt mit der Zunge einen Rest aus den Backenzähnen, aber tatsächlich schmeckt sie gar nichts. Das Einzige, was sie überhaupt beschreiben könnte, ist der verkokelte Rand, der an ihrem Gaumen kratzt.
»Hm«, murmelt sie schließlich, weil ihr nichts Besseres einfällt.
»Ich find’s auch wunderbar«, sagt Arno zufrieden, auch das genauso wie ein paar Minuten zuvor.
Er piekt ein neues Dreieck auf. Sein Fuß wippt unterm Tisch, »Music and passion were always the passion, at the Copa … «
Im Hof klappert ein Fahrradschloss.
Meine Mutter lässt die Hand zur Schläfe gleiten, baut eine Wand zwischen sich und das Fenster.
Arnos Messer bleibt in der Luft hängen.
»Kopfweh?«, fragt er.
Ihr Arm fällt auf den Tisch. »Nein, nein.«
»Na siehste. Ich hab doch
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