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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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zurück.
    »Für dich«, sagt er, als mache er ihr ein ganz besonderes Geschenk, und platziert den Knäuel zwischen ihren Beinen. Die Matratze dopst, als er wieder aufspringt, zum Fenster läuft, den Tag aufreißt. Das Licht fällt warm auf ihren Bauch.
    »Arno!«, ruft sie und dreht sich zur Seite.
    »Ups«, sagt er und breitet die Arme aus, als könnten die dünnen Stecken irgendwelche Blicke abwehren.
    Sie drückt das Papier zwischen die Beine und rennt auf die Toilette, lässt sich auf die Brille fallen.
    Wenn er Arnos Stimme erkannt hat, weiß er auch, dass ich dazugehöre, denkt sie, während sie sich trocken zu wischen versucht. Aber ihre Hand ist eingeschlafen. Die Finger, die sich zwischen ihre Beine schieben, fühlen sich fremd an, eine versteinerte Kralle, die hart und spitz an ihrer Scham vorbeikratzt.
    Ob er es sich vorgestellt hat? Wie wir uns miteinander wälzen, wie wir schwitzen? Ob er sich mich vorgestellt hat, auf dem Bett, die Beine gespreizt?
    Sie springt auf, läuft zum Waschbecken, hält die Hand unter den Hahn, die in dem matten Licht, das aus dem Flur kommt, noch immer aussieht, als hätte sie einen Mord begangen. Sie nimmt die Seife aus der Halterung und reibt die Finger ein, die langsam wieder lebendig werden, lässt sich das Wasser an den Armen hinablaufen. Erst als sie zurück ins Schlafzimmer geht, merkt sie, wie sehr ihre Beine noch immer zittern.
    Arno hat einen Fuß auf der Matratze aufgestellt und zieht seinen Socken bis zum Knie, lässt die Hosenbeine darüberfallen. Als sie an ihm vorbeigeht, drückt er ihr einen Kuss auf die Schulter.
    Sie nimmt die Brille vom Nachttisch, zieht einen BH aus der Schublade, streift die Träger über die Arme. Die Finger meines Vaters an ihrem Rücken sind noch immer feucht.
    »Geht schon«, sagt sie und macht einen Schritt nach vorne.
    Arno bleibt hinter ihr stehen, wartet geduldig, bis sie den Haken durch die Öse bekommt, in den Slip steigt, ein Unterhemd aus dem Schrank nimmt. Sie zieht einen Pullover darüber, einen Rock an. Greift darunter und zurrt das Unterhemd straff wie einen Streckverband. Sein Bauch stößt an ihren Rücken. Er streicht mit den Händen ihre Arme entlang, über ihre Hüfte, berührt ihren Magen, der unter seinen Fingern hörbar aufstöhnt.
    »Da ist jemand hungrig!«, lacht er und zieht sie zu sich herum. Sein Zeigefinger springt von seiner Schläfe zu ihr und wieder zurück, während seine Mundwinkel nach oben klettern, so stolz macht ihn sein Wissen um ihre Innereien, als sei nur er in der Lage, die geheimen Botschaften ihrer Magensäfte zu entschlüsseln.
    »Alles schon vorbereitet. In ein paar Minuten können wir essen!«, ruft er und läuft aus dem Zimmer, mit seinen riesigen, komischen Schritten, Kopf voran, die Arme bis zu den Knien schlackernd.
    Meine Mutter schließt die Schranktür, ein bisschen zu heftig, dreht den Schlüssel um. Sie hört die Geräusche, die aus der Küche dringen, das Kratzen des Pfannenbodens auf der Herdplatte, das Knistern des Anzünders, einmal, zweimal, dann das Fauchen der Gasflamme, sieht jede von Arnos Bewegungen vor sich, wie einen Film, den man so gut kennt, dass seine Bilder auch dann noch vor einem ablaufen, wenn der Fernseher ein Zimmer weiter steht.
    Sie packt die Zipfel des Deckbetts und reißt es nach oben. Sie streicht den Bezug glatt, drapiert die Kissen am Kopfende. Sie nimmt ihr in sich verschlungenes T-Shirt vom Bettpfosten, dreht es auf rechts. Legt es zusammen, immer kleiner, als würde sie Origami falten. Dann auch die Hose. Sie zieht noch mal den Pullover straff. Fährt sich über die trockenen Lippen. Atmet die Luft ein, die so alt und dick ist, dass sie glaubt, daran zu ersticken. Oder vielleicht muss sie das auch nur glauben, um endlich, endlich zum Fenster gehen zu können.
    Sie klappt das erste Flügelpaar auf, dann das nächste, beugt sich hinaus, nur ein wenig, als wolle sie bloß mal nachsehen, was die Vögel da unten auf den kahlen Ranken machen, die sich über die Müllstation strecken. Ihre Augen wandern zu den Dachluken hinauf, zu dem Handtuch hinab, das im ersten Stock an der Wäscheleine weht, kreisen das kleine Milchglasfenster von allen Seiten ein, bis sie sich endlich nicht mehr beherrschen können und sich direkt daraufstürzen.
    Meine Mutter kneift die Lider zusammen, versucht, etwas hinter dem Glas auszumachen.
    Aus der Küche ist wieder Tellerklappern zu hören, Schüsselrücken, das Rauschen des Radios. Es dauert eine Ewigkeit, bis Arno einen

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