Fünf Kopeken
gesagt, ein Glas Sekt kann nicht schaden. Ich kenn dich halt.« Er streut sich Salz in die Hand und verteilt es über seinem Teller.
Die Hoftür fällt krachend zu.
Meine Mutter dreht sich noch weiter vom Fenster weg, beobachtet, wie mein Vater immer wieder, immer wieder erfolglos, ein Stück Tomate aufzuspießen versucht. Wie einen Hockeyschläger schiebt er die Gabel am Tellerrand entlang und treibt den Würfel vor sich her. Er nimmt das Messer zur Hilfe, schafft es endlich, das Ding in die Schaufel zu bugsieren, aber gerade als die Zacken seine Lippen berühren, fällt das Tomatenstück wieder nach unten.
Sie folgt seinem Blick auf seinen Teller, betrachtet das Gemetzel, das er dort angerichtet hat, das zerfetzte Omelette, die gelbverklebten Petersilienblättchen, die auf den Tisch hängen, sieht die weinroten Kreise, die sich wie Pusteln durch die bräunliche Eierhaut drücken.
Überrascht schaut sie auf ihren eigenen Teller, zurück zu seinem.
»Was ist das?«, fragt sie.
»Chorizo«, sagt er, und »Ha!« Er reißt die Gabel nach oben und hält die aufgespießte Tomate in die Luft.
Das Besteck meiner Mutter sinkt auf den Tellerrand. »Und warum hab ich davon nichts?«
»Das schmeckt dir nicht«, antwortet Arno leichthin, während er stolz die Lippen um den Würfel schließt.
Die Brauen meiner Mutter laufen wieder auseinander. »Ach ja?«
Arno schiebt ein wenig Ei hinterher. »Die magst du doch nicht.«
»Wer sagt das?« Sie spürt, wie die Wut von vorhin wieder in ihr hochsteigt. Aber jetzt, wo sie sich nicht mehr gegen sie, sondern nur noch gegen Arno richtet, fühlt es sich großartig an.
Seine Kaubewegungen ziehen sich in die Länge. Sie kann dem Bissen förmlich zusehen, wie er von einer Seite zur anderen wandert, immer langsamer wird, endlich stecken bleibt, als habe mein Vater eine dicke Backe.
»Du«, sagt er endlich, »du hast das gesagt, damals, am Anfang, als wir in dieser Tapasbar in Mitte waren. Weißt du nicht mehr? Ich hab dich gefragt, wollen wir uns die Chorizo-Spießchen teilen, und du hast gesagt, nein, Knoblauchwurst ekelt mich an.« Er schüttelt den Kopf. Die Löckchen hüpfen hin und her. »Aber bitte, wenn du probieren möchtest?«, er schiebt ihr seinen Teller hin. Seine Augen werden weit vor Kränkung, einmal wegen des Vorwurfs, aber mehr noch, weil sie diesen gemeinsamen Moment vergessen hat. Er hebt den Zeigefinger und wischt sich einen Tropfen Fett von der Oberlippe. Fast sieht es aus, als habe ihm jemand eine blutige Nase geschlagen.
Aber so schnell will meine Mutter sich ihren Ärger noch nicht nehmen lassen.
»Für was hast du denn die Servietten rausgekramt, wenn du dir doch wieder mit den Händen im Gesicht rummachst?«, fährt sie ihn an.
Der Bissen flutscht aus Arnos Backe in den Hals und drückt sich am Kehlkopf vorbei. Er schluckt so angestrengt, dass sich die ganze Brust davon bläht. Seine Augen werden noch größer, während er sie stumm anblickt. Der Kühlschrank macht Geräusche, als würde es regnen, was es aber ausnahmsweise mal nicht tut. Die Sonne hält noch immer durch. Wie ein goldenes Geschenkband läuft der Lichtschein zwischen ihnen über den Tisch.
»Die Sache mit dem neuen Laden macht dir wirklich zu schaffen, was?«, sagt er plötzlich, und auf einmal klingt er gar nicht mehr verletzt, eher wie ein Professor, der das Ergebnis seiner Forschungsreihe präsentiert.
Meine Mutter schüttelt verwirrt den Kopf. »Was hat das denn damit zu tun?«
Er schiebt seinen Arm durch das Lichtband und greift nach ihrer Hand.
»Schon ok«, fährt er fort, als habe er sie gar nicht gehört. »Ich weiß, es ist ziemlich viel im Moment, das Examen vor der Tür und dann die ganze Arbeit im Laden. Aber du musst einfach daran denken, dass du es fast geschafft hast. Nur noch ein paar Monate, dann bist du am Ziel.« Er legt den Kopf zur Seite. »Dann fällt das alles von dir ab.«
Sie versucht ihre Hand wegzuziehen, aber er hält sie fest, presst ihre Fingerknochen zusammen.
»Nur noch ein paar Monate«, murmelt er wie eine Beschwörungsformel, »dann geht das Leben los.«
Er verbiegt seinen Oberkörper, bis er ihren Blick findet, versucht mit dem linken Auge zu blinzeln, wobei sich auch das rechte ein Stück weit zusammenzieht.
»Ja, ja«, sagt sie und schafft es endlich, sich loszumachen.
Arno lächelt aufmunternd. Dann beginnt er wieder, sein Essen zu malträtieren, kaut so angestrengt, als sei es Schwerstarbeit.
Sie fragt sich, ob er schon immer so
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