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Fuenf Maenner Fuer Mich

Fuenf Maenner Fuer Mich

Titel: Fuenf Maenner Fuer Mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meisl
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und nehme den nächsten Flieger nach Barcelona. Die Flugzeit zieht sich endlos hin. Unter mir die Zuckerwattewolken, über mir das tiefe, klare Blau des Himmels. Wird das Lolas neue Heimat sein? Ich denke an die letzten Tage und Wochen zurück. Fast täglich haben wir telefoniert. Lola hatte in der letzten Zeit große Probleme mit dem Atmen. „Vermutlich hat sich durch die Medikamente Wasser in der Lunge gebildet“, flüsterte sie. Trotz Atemnot hörte sie sich zuversichtlich an. „Es kommen täglich Freunde, um mich zu besuchen“, erzählte sie. „Es werden immer mehr. Meinst du, ich sterbe und sie kommen, um sich zu verabschieden?“ Was hätte ich darauf antworten können? Ich wollte nicht feige sein, aber angesichts des Todes fühlte ich mich hilflos. Auch ihre Tochter, ihr Mann und ihre Theaterfamilie erzählten von den vielen Besuchern. In der jahrhundertealten Finca, in der sie seit einem Jahr wohnen, treffen sich Künstler, Schauspieler, Schriftsteller, Regisseure und Lolas Freunde aus allen Lebensphasen. Sie wird nicht sterben, denke ich. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.
    Das Flugzeug landet mit leichtem Ruck. Jede Landung empfinde ich als eine Wiedergeburt. Welch dünne Linie das Leben und den Tod voneinander trennt. Da fällt mir ein: Lola hatte zeit ihres Lebens furchtbare Flugangst. Bei gemeinsamen Reisen klammerte sie sich ängstlich erst an der Armlehne, später an meinen Händen fest, brach in Schweiß aus und versank immer tiefer im Sitz. Kurze Zeit nach ihrer Krebsdiagnose sagte sie: „Einen Vorteil hat die Krankheit. Stell dir vor, Annette, ich habe keine Flugangst mehr!“
     
    Vom Flughafen Barcelona nehme ich ein Taxi zum 40 Kilometer entfernt liegenden Hospital. Ich will nicht unnötig Zeit verlieren. Als ich das Zimmer betrete, ist Lola alleine. Sie strahlt über das ganze Gesicht, als sie mich sieht, und umarmt mich mit dem rechten Arm. Der linke Arm ist von der Brust ausgehend vom Krebs entzündet und in einen weißen Verband gewickelt, gehalten von einer Spezialschlinge, die sie selbst entworfen hat. Eine Schlinge, die der Ausdehnung ihrer Entzündung gerecht geworden wäre, hatte es nämlich nicht gegeben.
    „Wie geht es dir? Was machen die Männer, was macht die Liebe?“, erkundigt sie sich, auch wenn ihr das Sprechen schwerfällt mit dem Plastikschlauch durch die Nase, der ihr Luft zuführt. Sie streichelt zart über meine Wange. Ihr Lachen, ihre Worte hätte ich noch abfedern können, aber die liebevolle Berührung treibt mir die Tränen in die Augen. Ich sage nichts, das ist auch nicht nötig, Lola versteht auch so. Sie wird plötzlich ernst: „Nie wieder darfst du zulassen, dass dir jemand wehtut! Nie wieder! Das musst du mir jetzt versprechen.“ Sie bleibt hart, bis ich ihr mein Versprechen gebe.
    Die nächsten zwei Tage sind die dunkelsten meines Lebens. Keine 24 Stunden nach diesem Gespräch wird Lola in ein künstliches Koma versetzt. Ich weiß, warum. Die Luft. Der Atem. Ich kann mich immer nur kurz an ihrem Bett aufhalten, das Geräusch des Nicht-atmen-Könnens bringt mich in tiefste Verzweiflung. Ich habe Angst, aus diesem tiefen Loch nie mehr herauszufinden. „Angustia“, meine Panik, ist wieder da, und schlimmer als je zuvor tobt sie in mir. Gemeinsame Freunde von Lola und mir sorgen sich um mich, und das ist mir schrecklich peinlich. Deshalb verstecke ich mich in der Wohnung der Krebsärztin, bei der ich übernachten darf. Ich komme aus meinem Loch nur raus, um alle paar Stunden einen Blick auf Lola zu werfen. Zwei Tage später, in den frühen Morgenstunden, ist Lola gestorben. Ich wache genau in ihrer Todesminute auf, wie ich später erfahre. Nachmittags findet die Aufbahrung mit einer Abschiedszeremonie statt. 500 Menschen erweisen Lola die letzte Ehre.
    Ich bin am Boden zerstört und fliege zurück nach Deutschland, lasse Barcelona und meine geliebte Lolita weit hinter mir. Was heißt hinter mir? Lolita ist doch bei mir! Das spüre ich ganz deutlich.
    Abends dirigiert der berühmte junge venezolanische Dirigent Gustavo Dudamel in der Philharmonie in Köln. Ich habe die Karte schon vor Wochen besorgt und weiß, Lola würde nicht wollen, dass ich zu Hause bleibe und um sie trauere. Also gehe ich hin – ganz alleine. Und in Gedanken bin ich bei ihr. Ich weiß weder, dass mich ein ganz besonderes Konzertereignis erwartet, wie die Presse später schreiben wird, noch dass mir ein großer Moment der Erkenntnis bevorsteht. Als die Göteborger Symphoniker

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