Fünf: Schwarzwald Thriller 1
»Nie, nie mehr. Ich habe jede Nacht nach dir gerufen, Mama.« Er richtete sich auf und schien im Gesicht ihrer Mutter nach etwas zu suchen. Offensichtlich fand er es nicht. »Hast du mich jemals geliebt?«, fragte er, wieder ganz das kleine Kind. Er streichelte ihre Hand. »Hast du mich jemals geliebt?«
Katrins Mutter schluchzte auf. Sie klang wie ein Tier, das in der Falle saß. »Ich habe es versucht, Ralf«, stammelte sie plötzlich.
Katrin begann zu frieren.
Ihre Mutter war gut. Genau, wie sie es auf der Polizeischule gelernt hatten. Gib einem Psychopathen immer, was er braucht. Dieser Kerl brauchte offenbar eine Mutter, also gab sie ihm eine.
»Ich habe versucht, in dir das unschuldige Kind zu sehen, das Baby mit dem zarten, weichen, hellblonden Flaum auf dem Kopf, aber dann habe ich in deine Augen geschaut und da waren nur die Augen deines Vaters.«
Katrin verstand nicht.
Ihre Mutter schluchzte erbärmlich. »Ich hielt dich in meinen Armen und ich ertrug es beinahe nicht. Ich habe dich einfach nicht ertragen.«
»Mama«, flüsterte Katrin. »Mama, was soll das? Was redest du denn da?«
»Halt’s Maul«, fuhr Rainert sie an, sichtlich erbost über die Unterbrechung.
Ihre Mutter warf ihr ebenfalls einen warnenden Blick zu. »Wie hast du es erfahren?«
»Durch den Tod deiner Mutter, meiner Großmutter«, erklärte er bitter. »Wenn man etwas erbt, so wie ich diesen Hof hier, dann lassen die Gerichte quasi nichts unversucht, den Erben zu finden.«
Ihre Mutter nickte, als würde sie plötzlich alles verstehen.
»Mama«, rief Katrin. Sie konnte nicht glauben, was sie hörte.
»Teil meines Erbes war auch ein Brief, der mir alles erklärte, und der gleichzeitig tausend andere Fragen aufwarf.« Rainert hatte sich ebenfalls in einen Sessel sinken lassen. »Ich habe es dir gesagt, Katrin. Immer und immer wieder habe ich dir gesagt, dass wir zwei uns ähnlicher sind, als du glauben willst.« Er lächelte matt. Wie ein Wanderer am Ende einer langen Reise. »Wir sind Fleisch von einem Fleische.« Er wandte sich wieder ihrer Mutter zu. Seiner Mutter. »Warum konntest du mich nicht lieben?«
Katrin konnte den Blick nicht von ihrer Mutter lösen. Ihr war eiskalt, als sie sah, welch abgrundtiefer Hass in den Augen ihrer Mutter brannte.
Wie von Sinnen schüttelte sie den Kopf. »Du bist die Saat des Teufels«, flüsterte sie. »Dein Vater war Satan selbst. Willst du wissen, wie ich dich empfangen habe?« Sie spie ihm die Worte ins Gesicht. »Du bist das Ergebnis einer brutalen Vergewaltigung.« Jetzt lachte sie.
Sie verliert den Verstand, dachte Katrin. Sie muss den Verstand verlieren. Es ist der Schock über Papas Tod.
»Oh ja«, geiferte sie. »Kein Kind der Liebe. Dein Vater hat mich vergewaltigt. Ich habe ihn angefleht, mir das nicht anzutun, zu warten, bis ich es auch wollte …« weinte sie, »aber er hat nur gelacht. Es würde mir auch Spaß machen, hat er gesagt. Ich müsse ihn nur machen lassen. Seine Hände waren überall. Als wären ihm tausend Arme gewachsen, er quetschte meine Brüste, riss die Knöpfe meiner Bluse auf und drückte mit seinem Knie meine Beine auseinander. Ich wollte die Augen schließen, mir vorstellen, ich sei ganz woanders. Egal wo, nur weit, weit weg von ihm, aber er zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. Die ganze Zeit über musste ich das Vergnügen, die Lust, den Spaß, den er an mir hatte, als Spiegelbild in seinen Augen sehen.« Sie hob den Kopf. »Und?«, rief sie. »Geht es dir jetzt besser, mein Sohn?«
»Sei still«, flüsterte Rainert.
»O nein. Jetzt hörst du dir die ganze Wahrheit an. Ich habe auch nicht zwischendrin aufhören dürfen. Musste ihn anblicken, bis er seinen widerlichen Samen in meinen Schoss ergoss. Musste sehen, wie er die Augen verdreht hat, wie er gezuckt hat, als er in mir gekommen ist.«
Katrin hielt sich die Ohren zu. Aber ihre Mutter schrie so laut, dass sie trotzdem jedes Wort verstand.
»Und als er endlich fertig war und von mir runtergegangen ist, hat er auf mich gespuckt«, kreischte sie. »Er hat auf mich gespuckt. Als ich bemerkte, dass ich schwanger war, wollte ich es wegmachen lassen. Aber sie hat mich gezwungen, dich zu bekommen und zu behalten.« Sie brach zusammen.
Katrin hatte keinen Zweifel daran, dass sie von ihrer Großmutter sprach. Jetzt wurde ihr klar, weshalb ihre Mutter so unversöhnlich gewesen war.
»Es tut mir leid«, flüsterte Rainert. »Es tut mir unendlich leid, was mein Vater dir angetan hat. Aber ich«, er
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