Fünf Tanten und ein Halleluja
sie.«
»Vielleicht für immer.«
»Ich schlaf nirgendwo anders! Nur im Hotelzimmer mit der Laterne!«
Toni versuchte sich zu konzentrieren. In diesem Moment fuhr am gegenüberliegenden Bahnsteig der Zug ein.
»Hört zu, ihr bleibt hier und wartet«, sagte er. »Ich fahre schnell eine Station zurück und gucke, ob Tante Ebba noch auf dem Bahnsteig steht. Dann kommen wir gemeinsam wieder hierher zurück.«
»Du kannst uns doch hier nicht alleine lassen!«
»Und was machen wir, wenn du dann auch verschwunden bleibst?«
»Ich bleibe nicht verschwunden. Ich komme gleich zurück. Wichtig ist nur, dass ihr euch nicht vom Fleck bewegt. Schafft ihr das?«
Er erhielt keine Antwort. Nur bange Gesichter.
»Zurückbleiben bitte!«, ertönte es aus dem Lautsprecher.
»Ich bin gleich wieder da, versprochen!«
Und damit sprang Toni in den Zug. Die Türen schlossen sich, jenseits der Fenster wechselten die Tanten bekümmerte Blicke, dann fuhr die Bahn los und verschwand im Tunnel.
Plötzlich war er allein. Er stieà einen schweren Seufzer aus. Drei Tage, sagte er sich, das wirst du schon irgendwie überleben. Eigentlich waren es ja nur zweieinhalb Tage, denn die Tanten fuhren übermorgen schon am Nachmittag zurück. AuÃerdem würden sie sicher ein straffes Besichtigungsprogramm haben, tröstete er sich.
Der Zug fuhr im U-Bahnhof Zoologischer Garten ein. Toni stieg aus und sah sich um. Menschen trotteten in alle Richtungen davon. Der Bahnsteig leerte sich. Tante Ebba war wie vom Erdboden verschluckt.
Er nahm sein Handy und versuchte es wieder bei ihr, aber das Gerät war noch immer ausgeschaltet. Also wählte er die Nummer von Tante Claire. Doch vergebens. Auch Tante Kamilla war nicht zu erreichen. Er war ja selbst schuld: Er hätte sie bitten müssen, die Handys einzuschalten.
Er blickte sich hilflos um. Und was jetzt?
In seinem Kopf war eine lockende Stimme, die flüsterte: Und wenn du dich einfach davonschleichst? Er könnte sich in ein StraÃencafé setzen, bei einer Tasse Tee eine Illustrierte durchblättern und danach gemütlich nach Hause schlendern.
Doch so schön die Vorstellung auch war â das brachte er ja doch nicht übers Herz. Also setzte er sich in die nächste Bahn und fuhr wieder zurück.
Auf dem Bahnsteig hielt er Ausschau nach den verbliebenen Tanten. Zuerst konnte er sie nicht entdecken, aber dann wurde er auf eine Menschentraube neben dem Treppenaufgang aufmerksam. Da waren Uniformierte von der BVG, StraÃenkehrer, ein Bauarbeiter. Und mittendrin seine Tanten. Sogar Tante Ebba. Offenbar hatte sie die nächste Bahn genommen und ihre Schwestern wiedergefunden. Tante Immi redete und gestikulierte wild herum. Offenbar amüsierten sich alle blendend. Plötzlich entdeckte Tante Immi ihren Neffen und winkte ihm zu.
»Antonius! Da bist du ja! Wir dachten schon, du wärst verloren gegangen.«
»Ebba wollte dich schon ausrufen lassen«, sagte Tante Kamilla. »Die netten Herren haben ihre Hilfe angeboten.«
Einer der Uniformierten sprach in ein imaginäres Mikrofon: »Achtung, Achtung. Der kleine Toni wird von seiner Tante Ebba gesucht.«
Alle lachten, selbst die grobschlächtigen Bauarbeiter. Aber es war kein nettes Lachen.
»Wie damals«, rief Tante Immi, »als du dich in dem Brautmodenladen unterm Tisch versteckt hast, weil du nachts alle Kleider anprobieren wolltest.«
Und dann war kein Halten mehr. Es wurde gejohlt und gewiehert. Toni errötete und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Einer der Uniformierten schlug ihm auf die Schulter.
Toni betrachtete seine Tanten. Für einen Moment befielen ihn Mordgedanken. Doch dann trat Tante Ebba vor und packte ihn am Oberarm.
»Kommt schon«, sagte sie. »Jetzt sollten wir endlich mal los. SchlieÃlich müssen wir heute Abend wieder bei den Landfrauen sein.«
Im Treppenhaus war es mucksmäuschenstill. Doch Toni traute dem Frieden nicht. Kayla und Lutz hatten ihm zwar versprochen, nicht aufzutauchen, wenn seine Tanten zu Besuch waren. Doch man konnte bei den beiden nie so genau wissen. Am wenigsten bei Kayla. Also hielt er Augen und Ohren offen.
Seine Tanten folgten ihm schweigend durchs Treppenhaus. Normalerweise gab es immer eine Menge Aaahs und Ooohs, wenn Leute zum ersten Mal hier waren. Die heruntergekommene Pracht des Gründerzeithauses nahm für gewöhnlich alle
Weitere Kostenlose Bücher