Fünf Tanten und ein Halleluja
beherrschen. Frag besser nicht weiter nach.«
Das tat Helga auch nicht. Dafür leuchteten ihre Augen vor Bewunderung. Es dauerte nicht lange, da sprang die Tür auf. Ein dunkler Korridor war zu sehen. Das Licht funktionierte nicht mehr, der Strom war offenbar schon abgestellt worden. Kayla zog zwei Taschenlampen aus dem Rucksack.
»Möchtest du lieber hier warten?«, fragte sie.
»Und mir das entgehen lassen? Auf keinen Fall!«
Im Licht der Taschenlampen folgten sie dem Korridor bis zur Toilettentür. Die war ebenfalls verschlossen. Helga hämmerte dagegen.
»Kamilla? Bist du da drin?«
Sie lauschten. Ein kaum wahrnehmbares Wimmern.
»Das ist sie! Schnell, Kayla. Wir müssen zu ihr!«
»Also gut. Gib mir Licht.«
Im Schein von Helgas Taschenlampe knackte Kayla auch dieses Schloss. Die Tür schlug auf. Sie liefen hinein. Die Lichtkegel tasteten den Raum ab. Schmutzige Fliesen, tropfendes Wasser, aus der Angel gehobene Türen, eine Ratte, die vor ihnen in die Dunkelheit floh.
»Kamilla? Bist du hier?«
Ein blasses Gesicht mit dunklen, starren Augen blitzte vor Kaylas Taschenlampe auf.
»Ich hab sie.«
Kamilla hockte neben der Schranke am Boden. Sie sah grauenhaft aus. Die Frisur war völlig zerzaust, ihre Brille hing schief im Gesicht. »Helga ⦠Helga â¦Â«
»Mein Gott, Kamilla!«
Helga lieà die Taschenlampe fallen und stürzte auf sie zu. Nahm sie in den Arm und versuchte zu trösten.
»Ich ⦠ich â¦Â«, begann Kamilla.
»Scht. Alles ist gut. Wir bringen dich hier raus.«
»Ich â¦Â«
»Es ist alles gut, mein Engel. Wir sind jetzt hier. Hörst du? Es kann nichts mehr passieren. Wir sind bei dir.«
»Ich â¦Â«
Helga merkte: Es half nichts. Es musste gesagt werden. Der Schrecken, den Kamilla erlebt hatte, musste in Worte gefasst werden. Keiner konnte ihr das abnehmen. Kamilla hob mühsam den Kopf, das Kinn zitterte, doch sie nahm alle Kraft zusammen, um das Grauen, das ihr widerfahren war, laut auszusprechen: »Ich bin in die Kloschüssel gestürzt.«
»Und dann haben sie Fingerabdrücke von mir genommen. Ist das nicht aufregend? Wie bei einem Schwerverbrecher, sage ich euch. Da sitzt man auf einer Holzbank, man wird bewacht von Uniformierten, und die verstehen überhaupt keinen SpaÃ, also wirklich, und dann kommt ein Mann von der Spurensicherung, du liebe Güte, der konnte vielleicht böse gucken, aber ich hatte ja keinen Ausweis bei mir, der war nun mal in meiner Handtasche.«
Alle saÃen um den Tisch versammelt und lauschten Immis Geschichten. Alle auÃer Kamilla. Die war jetzt schon seit über einer Stunde im Badezimmer, und man hörte immer noch die Dusche rauschen.
Lutz hockte neben Tante Immi und strahlte sie an. Er war der Einzige, der ihre Begeisterung vorbehaltlos teilte.
»Und dann bist du in eine Gefängniszelle gekommen?«, fragte er. »In eine richtige Gefängniszelle?«
»Ja, wenn ich es doch sage! Und zwar zu einer anderen Frau, so einer richtig groÃen mit Tätowierungen und Narben im Gesicht. Zum Fürchten sah die aus, aber soll ich euch was sagen? Das war eine unheimlich sympathische Person. Ja, man lernt ja solche Menschen sonst gar nicht kennen. Und die Rosie, also wirklich, auf die lass ich nichts kommen.«
»Weshalb saà die denn?«, fragte Kayla skeptisch.
»Gesagt hat sie, wegen Raub und schwerer Körperverletzung. Aber ich glaube, die wollte mich nur auf den Arm nehmen, die Rosie. Wollte wohl mal sehen, ob sie mich schockieren kann. Die hat mir sogar ihre Tätowierungen gezeigt. Ich sage euch, so etwas habe ich noch nicht gesehen: Der ganze Körper war voll davon. Das muss ja unglaublich wehgetan haben. Wirklich beeindruckend. Und eine hatte sie hier am Auge, das war eine Träne. Die hat sie sich selbst gemacht, sagt die Rosie, als sie das letzte Mal im Gefängnis war.«
»Aber hattest du denn gar keine Angst?«, wollte Claire wissen.
»Ach, Unsinn. Was soll denn einer so alten und so dicken Frau wie mir schon passieren? Und die Rosie hat gesagt, ich wäre ein Pfundsmädel. Ich sag euch, mit der kann man bestimmt Pferde stehlen gehen.«
»Im wahrsten Sinne des Wortes«, murmelte Kayla.
»Viel schlimmer war der Polizist, der mich dann befragt hat. Der war einer wie aus dem Fernsehen, wie bei diesen amerikanischen Serien, wo die Männer immer so laut werden und
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