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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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für die Marine. Die Offiziere hatten ihre Damen mitgebracht. Marion spürte den Applaus, diesen Strom der Sympathie, der Bewunderung, der Begeisterung, der ihr entgegenschwamm, auch vielleicht ihrem Gesicht die letzte Schönheit, ihrer Stimme den letzten Schliff gab.
    Sie sang wieder und spürte zwei Augen unter den vielen, die sie ansahen. Graue Augen mit einer Blautönung, in einem knappen, gutgeformten Gesicht, zu dessen Jungenhaftigkeit der Ernst nicht ganz paßte. Eine derbe Nase, ein sensibler Mund, ein stark ausgeprägtes Kinn, dazu die Uniform, das Dutzendkleid der Nation. Marion mochte keine Uniformen. Aber zu diesem Gesicht paßte sie, stellte sie fest.
    Sie sah Hunderte von Händen, die ihr zuklatschten, aber sie hörte nur zwei …
    Marion Fährbach verbeugte sich artig, lächelte über sich selbst. Und als sie dann am Tisch saß, zwischen den beiden Offizieren, hörte sie, daß der Mann mit dem widerspruchsvollen Gesicht Georg Fährbach hieß. Als zweites fiel ihr auf, daß er nicht vom Krieg sprach; als drittes, wie höflich er um sie warb.
    »Sie betrachten mich wie ein Reptil«, sagte Marion lachend. »Nein«, erwiderte er, »wie eine …«
    »Eine?« fragte sie.
    »Ich finde das Wort nicht«, antwortete Fährbach und starrte seine Hände an, als müßte er sie rügen. Nichts an ihnen war zu tadeln. Sie waren schmal, aber männlich, gebräunt, aber nicht plump, sensibel wie sein Mund, zu dem sie paßten wie zu seinen Augen, wie zu seiner Stirn, wie zu den Haaren.
    Er war noch jung, aber Marion spürte die Achtung, mit der die anderen Offiziere ihn behandelten. Einer, der ein tolles Stück hinter sich hatte und einen Orden bekam. Marion verstand nichts von Orden, auch nichts von tollen Stücken, aber seine Augen mochte sie und seinen Mund und seine Verlegenheit und seine Bewunderung und die umständliche Art, mit der er um sie warb, und den Ärger auf seinen Freund, der rechts von Marion saß und Christian Straff hieß, mit ihr wild flirtete, aber ins Leere lief, weil er ein Windhund war. Vielleicht ein Zyniker mit Herz oder ein Melancholiker mit Zynismus …
    Getanzt wurde nicht. Schade. Krieg. Dritter Monat. Soll bald aus sein, sagen die Leute. Hoffentlich …
    »Wo leben Sie?« fragte Georg Fährbach.
    »In Berlin.«
    »Da komme ich auch her.«
    »Dann sind wir also Landsleute«, antwortete Marion, »das verbindet, nicht wahr?«
    »O ja«, sagte er. »Sind Sie …?«
    »Was?«
    Er schwieg.
    »Nicht verliebt«, entgegnete Marion, »nicht einmal verlobt und schon gar nicht verheiratet.«
    Wieder begegneten sich ihre Augen.
    »Was machen Sie?« fragte Marion.
    »Ich bewundere Sie.«
    »Ich meine … im Frieden.«
    »Ich fahre zur See.«
    Die junge Sängerin stand auf. Georg Fährbach folgte ihr. Sein Freund wollte mitkommen. Marion sah, wie Georg ihn in die Seite stieß, und freute sich darüber.
    Es war November, kühl. Aber Marion war es heiß. Ihm auch. Sie standen da und starrten in den Himmel. Sterne, wie immer. Aber heute leuchteten sie heller. Oder hatten sie zu viel getrunken? Georg sagte kein Wort. Auch Marion schwieg. Die Stille wurde laut.
    Georg nahm sie genauso in die Arme, wie sie es sich vorgestellt hatte, er zog sie genauso an sich, wie sie es wollte, mit kräftigen Armen und sanften Lippen. Alles in ihm brannte, aber er blieb zärtlich: alles an ihr war zärtlich, denn sie brannte. Sie wartete, lauschte, träumte, allein – zu zweit.
    »Marion«, sagte Georg, »ich möchte Sie heiraten.«
    »Warum?«
    »Ich … ich hab' Sie lieb.«
    »Wie lange kennen Sie mich schon?«
    »Solange ich lebe.«
    »Für sechs Stunden sind Sie ein recht kräftiges Baby«, erwiderte sie lachend, »beschwipst, Baby?«
    »Nein«, entgegnete Georg.
    »Verliebt?«
    »Mehr … geben Sie mir eine Chance …«
    »Zu was?«
    »Für uns.«
    Marion brauchte ihm keine Chance zu geben, denn er hatte sie schon. Er küßte sie nicht einmal richtig. Er nahm ihren Arm und zog sie in den Saal. Sein Freund, Oberleutnant Straff, saß am Tisch, hatte Falten auf der Stirn, als ob er nachgedacht hätte, wieviel er bereits getrunken hatte. Zuviel, wie meistens.
    Christian war eifersüchtig und aggressiv. »Marion«, fragte er, »wie können Sie mit so einem langweiligen Patron wie Georg ins Freie gehen?«
    »Sind Sie amüsanter?«
    »Aber bestimmt … und außerdem …«
    »Schade«, entgegnete sie.
    »Wieso?«
    »Ich bin verlobt.«
    »Mit wem?«
    Marion deutete auf Georg Fährbach.
    Zuerst begriff es Christian, dann

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