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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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meistens Kommunisten und Sozialisten, die mit dekorierten Marineoffizieren nicht viel zu tun haben wollten.
    Sooft die schrillen Pfiffe über das Lager gellten, stürzten die Häftlinge aus ihren Unterkünften, taumelten, drängelten, stürmten nach vorne. Was fällt, soll man noch stoßen … Wer nicht selber trat, wurde von den Wachmannschaften getreten. Während sich Menschen, die nicht mehr wie das Ebenbild Gottes aussahen, im Viereck formierten, sprangen die Hunde in den Zwingern an den Drahtmaschen hoch. Sie waren bei den Menschen in die Schule der Menschenverachtung gegangen.
    Der Lagerhaftführer fehlte heute.
    Hunderte von Sklaven atmeten auf. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Vogelkopf gemacht. Er war schlechter Laune, vielleicht, weil er zu viel getrunken oder bei einer Frau zu wenig erreicht hatte. Jedenfalls ging er fluchend, spuckend und schlagend durch die Reihen der Häftlinge und suchte sich seine Opfer.
    Nur einer aus der Baracke V hatte sich Georg Fährbach ein wenig angeschlossen: Friedrich Kaulbach, ein Bibelforscher, ein kleiner, schmächtiger Mann, der gegen eine Unterschrift seine sofortige Freilassung haben konnte und sie verweigerte, was eine Dummheit war, für die Fährbach volles Verständnis hatte.
    »Mach dich klein!« raunte er Kaulbach zu; aber es war zu spät.
    »Ach nee«, brüllte Dreiling, »Hochwürden, na prima! Dir bring ich jetzt die wahre Religion bei, die einzig richtige … und du betest laut mit, verstanden?«
    »Jawohl, Herr Hauptscharführer.«
    Die Tücke fraß sich in den Pupillen des SS-Mannes fest wie Tinte auf einem Löschblatt.
    Der kleine, magere Bibelforscher mußte sich ausziehen, während der Bock herbeigebracht wurde.
    »Halbkreis!« befahl Dreiling den Häftlingen der Baracke V. »Die ersten fünf verabreiche ich ihm selbst.«
    Der Fünfzigjährige, der wie ein ausgemergelter Greis wirkte, legte sich ergeben über den Bock, wurde festgeschnallt.
    »Du kannst dich noch freikaufen«, sagte der Vogelkopf, »du brauchst nur zu sagen, daß du auf die Bibel …«
    »Nein, Herr Hauptscharführer«, entgegnete Kaulbach mit der Stimme eines Kindes.
    »Dann fünfundzwanzig!«
    Georg Fährbach kannte alles, was kommen würde: das Gebrüll, den Schaum vor dem Mund, die laut gezählten Schläge, denn alles, was von dem halb wahnsinnig Geprügelten nicht laut gezählt wurde, zählte nicht.
    Dreiling drosch bis fünf, haute einmal daneben, weil er betrunken war. Er gab einem grünen Kapo die Peitsche in die Hand und sagte: »Aber feste … sonst bist du selber reif!«
    Gerade als der Grüne ausholte, sah der Vogelkopf seinen Günstling Fährbach.
    »Paßt Ihnen wohl nicht, Herr Kaleu?«
    »Nein, Herr Hauptscharführer.«
    Dreiling stand da wie ein Baum, in den ein Blitz fuhr. »Sechs«, röchelte Kaulbach.
    Der Mann mit dem Vogelkopf gab dem grünen Kapo ein Zeichen, die Prozedur zu unterbrechen. »Mann«, brüllte er Fährbach an, »weißt du, was du für ein Schwein hast, daß ich dich nicht gleich umlege?«
    »Jawohl, Herr Hauptscharführer«, schrie Fährbach, so laut er konnte.
    Dreiling sah von einem zum anderen. Er dachte sich etwas Neues aus. Dann grinste er breit und hämisch. »Also, es paßt Herrn Kaleu nicht … wieviel Hiebe haben Sie noch zu kriegen, Sie Bibel-Heini?« fragte er Kaulbach.
    »Neunzehn, Herr Hauptscharführer.«
    »Na, du marinierter Penner«, Dreilings Stimme gluckerte vor Zufriedenheit, »Mensch, hast du Schwein, daß ich dich so mag … Du hast was bei mir frei, such dir's aus: Was du dir auf den Arsch geben läßt, zieh' ich ihm ab, klar?«
    Sie standen alle starr. Dem Vogelkopf war etwas Neues eingefallen, und der Stolz darüber floß über sein kleines Gesicht wie Sirup. »Kapiert, Matrose?«
    »Jawohl, Herr Hauptscharführer«, versetzte Fährbach und zog sich aus.
    Dreiling glotzte stumpf. Darauf war er nicht gefaßt gewesen. Aber nun sollte dieser arrogante Bursche seine Lektion erhalten.
    Kaulbach wurde losgeschnallt und Fährbach angebunden. Der kleine Bibelforscher warf dem früheren Marineoffizier einen Blick zu, für den sich Fährbach 50 oder 100 hätte verabreichen lassen.
    »Du beginnst mit sieben«, sagte der Vogelkopf und gab dem Kapo ein Zeichen.
    Der Ochsenziemer klatschte.
    »Sieben!« brüllte Fährbach.
    Ein Schlag.
    »Acht«, schrie er.
    Bei 14 platzte die Haut. Bei 18 war kein Platz mehr für Striemen. Fährbachs Stimme wurde leiser, aber er hielt durch, er verzählte sich nicht ein einziges

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