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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Abenteuer mehr erleben, wie er sie früher suchte und wie sie der Krieg zu rechtfertigen schien. Jutta ist kein Mädchen wie Bettina, die er zwischen zwei Zügen kennenlernte, um nach drei Stunden zu wissen, daß sie sich nicht mehr geben konnten, als sie sich gegeben hatten. Jutta ist kein Mädchen wie Iris, deren Vater zu viel Geld und zu wenig Zeit hatte, und auch kein Mädchen wie Jeannette, die in das Leben zu sehr verliebt war, und auch kein Mädchen wie Karin, die sich an die Brieftasche hielt, und auch nicht wie Inge, die nach einer halben Stunde gleich heiraten wollte …
    Seine Erinnerung gräbt mit flinken Händen das Labyrinth der Vergangenheit aus und schaufelt es wieder zu. Und zwischendurch betrachtet er Jutta und wird unsicher. Eine Bemerkung auf dem Schiff fällt ihm ein, über die sie nie gesprochen haben. Aber jetzt kümmert sich Christian Straff nicht mehr um dieses Tabu.
    »Weil du über deinen Vater entsetzt bist … weil er dieses verfluchte Lager kommandiert … weil die Ehe deiner Eltern daran gescheitert ist … fühlst du, ausgerechnet du, dich zur Wiedergutmachung verpflichtet …«
    Jutta betrachtete ihn erschrocken.
    »So ist es doch?« drängt der Seeoffizier.
    »Nein«, erwidert Jutta. Sie spricht, als hätte sie den Text auswendig gelernt: »Ich will Ärztin werden. Kinderärztin … Ist es nicht selbstverständlich, daß ich hier … und sonstwo Verwundete pflege?«
    »Das ist es ja nicht«, unterbricht sie Christian und wartet, bis ihn Jutta voll ansieht. »Ich will dir sagen, was mit dir los ist: Du machst den gleichen Fehler wie die Männer, die du verachtest … wie dein Vater zum Beispiel …«
    »Wieso?«
    »Diese braune Bande hat die Sippenhaftung erfunden, und nun erhebst du umgedreht diesen Wahnsinn zu deinem Prinzip: Du fühlst dich für deinen Vater …«
    »Lassen wir das«, entgegnet Jutta betroffen.
    »Der Krieg geht zu Ende … aber das Leben weiter«, sagt Christian, »und du sollst dann nicht mit diesem falschen Schuldkomplex …«
    »Kein Komplex«, unterbricht ihn Jutta weich. »Wir … wir alle werden noch lange Wunden zu pflegen haben …«
    Christian Straff bleibt stehen. »Gut«, sagt er, »lassen wir die Theorie.« Er zündet sich eine Zigarette an. »Wichtiger ist vielleicht zunächst: Wie kommst du heraus aus Kopenhagen, wenn …«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wie?« fragt er sich laut.
    »Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagt Jutta, »entweder bleiben wir beide hier sitzen … zusammen, und das wäre doch nicht so schlecht …«
    »Oder?« fragt er.
    »… mit deinem Schiff, der ›Cap Arcona‹.«
    »… das keinen Sprit hat.«
    »Auch recht«, versetzt Jutta lachend. »Du bleibst doch mein Beschützer?«
    »Hoffentlich«, antwortet Christian.
    Sie sitzen nebeneinander. Ihre Schultern berühren sich. Christian spürt ihre Nähe, ihre Wärme, und er hadert mit sich, weil er seine angemaßte Selbstlosigkeit durchschaut, weil er spürt, was ihm das Mädchen bedeutet, weil er Jutta am liebsten an sich reißen, erobern und besitzen möchte, weil er merkt, daß sie keine Krankenschwester mehr für ihn ist, sondern eine Frau, deren Augen, deren Händen, deren Lippen, deren Atem und deren Zärtlichkeit er langsam hörig wird …
    Und das passiert mir … Christian Straff, jetzt, ausgerechnet in den letzten Zuckungen des Krieges, nach dem ohnedies alles vor die Hunde geht, während betrunkene Landser auf der Straße grölen: »Genießt den Krieg, der Friede wird fürchterlich!«
    Und Christian sitzt neben Jutta. Brettsteif, mit hängenden Armen sieht er, wie ihre Augen glänzen und ihre Grübchen locken, wie sich ihre Haare lösen und auf die Schultern fallen, wie sich ihre Lippen öffnen, eigens für seinen Mund, den er schließt, weil er ihm nicht mehr traut, nicht seiner Trockenheit, nicht seiner Wärme, die sich zur Hitze steigert, nicht seinem Trotz.
    Dann spürt er ihre Zärtlichkeit wie einen Schlag.
    Jetzt sieht er nur eine Jutta, um die sich seine Arme legen, spürt dabei, wie sein Körper auftaut und weich wird, wie sich sein Mund öffnet, während ihn ihre Lippen berühren.
    »Du …«, sagt Jutta leise.
    Canossa liegt in Dänemark, jedenfalls für Kapitän Bertram, Kommandant der ›Cap Arcona‹, der seine täglichen Bittgänge um lumpige tausend Tonnen Öl für sein Schiff nicht aufgeben will, statt froh zu sein, daß die ›Cap Arcona‹ wegen Mangels an Brennstoff nicht zum drittenmal in die Hölle fahren muß.
    Dieser alte

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