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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Befreiung absteckten. Die Lagerleitung war zu einer Macht geworden, denn mit dem nahenden Ende konfrontiert, biederten sich einige der Herrenmenschen mit den Zebrasklaven an, als könnten sie durch ihr widerwärtiges Wohlwollen in den letzten Wochen das blutige Wirken der vergangenen Jahre vertuschen.
    Darüber hinaus verfügte die heimliche Lagerleitung, in der unter dem Vorsitz eines deutschen Kommunisten ein englischer Major, ein französischer Arzt, ein italienischer Pfarrer und ein Mann der holländischen Résistance saßen, auf dem Umweg über Rot-Kreuz-Pakete über eine unerhörte Schlagkraft: die Korruption.
    Schnaps, Weiber, Folter und Macht, alle bewußt gezüchteten Instinkte, die die Totenkopf-Männer zu Gefolgsleuten ihres Führers gemacht hatten, taten es längst nicht mehr allein. Einzelne wußten, wie gut amerikanische Zigaretten und schweizerische Schokolade schmeckten. Von oben herab war streng verboten, sich an diesen Liebesgaben der Häftlinge zu vergreifen, über die das heimliche Komitee fast unbeschränkt verfügen konnte.
    Als Häftling Melber, der seit dem 30. Januar 1933 zerschlagen, aber ungebrochen hinter Stacheldraht saß, mit dem Vorschlag herausrückte, einen Teil der Pakete zur Bestechung zu benutzen, war er zunächst auf Argwohn und Widerstand gestoßen. Aber dann hatte er sich durchgesetzt. Hauptscharführer Dreiling zum Beispiel rauchte heimlich ›Chesterfield‹ und schmuggelte genauso heimlich Häftlingspost aus dem Lager.
    Es ging Melber, dem kaltblütigen Kommunisten, erst in zweiter Linie um die Angehörigen. Wichtiger war ihm, daß er korrupte SS-Unterführer in die Hand bekam. Es war ein Spiel auf Leben und Tod. Aber welche andere Wahl wäre den Häftlingen geblieben?
    Georg Fährbach sprang auf, als der Lagerhaftführer Krappmann die Schreibstube betrat.
    »Halten Sie den Mund, Sie Dreckschwein!« versetzte der Mann mit einem mittleren Fußtritt. Seine Augen waren rotgerändert. Die Baracke stank nach Schnaps, und die Gesichtshaut Krappmanns war zerknittert und fahl.
    Alles das stellte der Häftling Nummer 8.773 mit einem Blick fest, was ihm neue Schikanen eintrug.
    »Der Marinepinkel … Sie habe ich ja ganz vergessen, Mann! Sie mach' ich noch fertig, ganz kurz vor Torschluß! Sie speziell.«
    »Jawohl, Herr Obersturmführer!« brüllte Georg Fährbach, so laut er konnte.
    »Sie freuen sich doch schon?«
    »Nein, Herr Obersturmführer.«
    »Sie meinen doch, ich …«, er fuhr sich mit der flachen Hand an den dürren Hals.
    »Nein, Herr Obersturmführer.«
    »Ich weiß genau, daß unter unserem Wachpersonal«, er hob die Mundwinkel angewidert, »Schweine sind, die sich schon umstellen.« Er fletschte die Schneidezähne. »Ich gehöre nicht dazu, und das heißt: Ich halte dem Führer die Treue! … Und bevor ich in die Grube fahre, krepiert ihr … und vor allem gehst du noch drauf, du beschissene Marinesau!«
    »Jawohl, Herr Obersturmführer.«
    Krappmann betrachtete den Häftling. Er war anders als die anderen: männlicher und damit auch gefährdeter. Zwar wollte Fährbach nicht noch ein zweites Mal die Beherrschung verlieren und führte die Befehle als perfekte Maschine aus, aber sie konnten seine Würde nicht zertreten, und sein Gesicht konnte nicht verleugnen, daß er auch noch in stinkigen Lumpen und kahlgeschoren ein Mann war, ein Kerl, ein Herr sogar …
    »So stellst du dir das vor, nicht?« fuhr der Lagerhaftführer fort. »Ich am Galgen und du mit Handschuhen daneben, rauchend, ein feiner Kerl wieder, einer, der nichts verbrochen hat …« Er wühlte in Aktenstücken und warf sie Fährbach vor die Füße, der sie sofort aufhob und wieder ordnete. »So dumm bin ich auch wieder nicht«, setzte Krappmann hinzu. Er lächelte breit und dreckig. »Und du nicht so unschuldig.« Er ging auf den Häftling zu, der ihm nicht auswich.
    »Passen Sie auf«, sagte er dann im kalten Befehlston, »in der Quarantäne sind noch acht Kranke zu … erledigen … darunter Ihr Freund Kaulbach, der Bibelforscher … Sie haben doch schon einmal Ihren feinen Hintern für ihn hingehalten … nun können Sie auch Ihren vornehmen Arm für ihn hinstrecken, mit der Ader … für die Spritze … verstehen Sie?«
    »Nein, Herr Obersturmführer«, erwiderte Georg Fährbach mechanisch.
    »Wir machen unser Spielchen weiter«, entgegnete Krappmann. »Ich erkläre es gerne.« Er wischte sich mit der Hand einen Speicheltropfen von der Unterlippe: »Heute abend um 18 Uhr Vollzugsmeldung!

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