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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Seeoffizier ist jünger, energischer und gesünder als sein Vorgänger Gerdts, der Hand an sich legte, als er verzweifeln mußte. Bertram will zurück in den Wahnsinn, will noch einmal nach Gotenhafen durchbrechen, will versuchen, den Russen noch eine Fuhre Flüchtlinge abzukaufen, weil ihm als altem Offizier der Handelsmarine das Gesetz im Fleisch brennt, daß bei Katastrophen Frauen und Kinder zuerst zu retten sind.
    Er hört entsetzt den Heeresbericht, verfolgt verzweifelt, wie die Truppen der Roten Armee sich Danzig und Gotenhafen, dem Brückenkopf des Flüchtlingselends, nähern, sieht die endlose Mauer der Menschen vor sich, die Stunde um Stunde und Tag für Tag dastehen und mit fernem Blick auf die See starren, auf ein Schiff warten, wie die ›Cap Arcona‹, und er zählt die Tage, zählt die Stunden …
    Die Propaganda der Braunen steigert noch die Verbrechen der Roten, so daß die entfesselte Panik der Masse auch noch den letzten Landweg verstopft.
    »Hören Sie, Bertram«, sagt der Hafenkommandant an diesem wie an jedem Morgen, »weder habe ich meine Zeit gestohlen noch bin ich ein Papagei … mit dem Sprit, den ich habe, können Sie vielleicht noch Ihr Feuerzeug füllen … In ganz Dänemark gibt es nicht so viel Öl, wie die ›Cap Arcona‹ braucht, um nach Gotenhafen zu kommen.« Die Verzweiflung macht den alten Seebären zynisch: »Warten Sie noch ein paar Tage, dann liegt Ihr Bestimmungsort ohnedies in … Rußland … Eine Zigarette kann ich Ihnen noch anbieten.« Kapitän Bertram nimmt sie automatisch. Die beiden Männer rauchen schweigend.
    »Dreiundvierzig Jahre bin ich zur See gefahren«, sagt der Hafenkommandant schließlich und sieht zum Fenster hinaus, »es war mein Leben … Aber jetzt verwünsche ich den Tag, an dem ich den blauen Rock anzog … Verstehen Sie?«
    »Hat vielleicht das Heer noch etwas …?« unterbricht Kapitän Bertram den melancholischen Monolog.
    »Vielleicht am Schwarzmarkt«, antwortet der Hafenkommandant, »vielleicht … Haben Sie soviel Geld?« fragt er sarkastisch.
    »Nein«, erwidert Bertram dumpf.
    »Oder wollen Sie vor das Kriegsgericht?«
    »Nein.«
    »Dann warten Sie gefälligst, bis …« Der Hafenkommandant deutet mit einer vagen Geste nach oben, woher die Bomben fallen.
    Weder an diesem Tag noch später gibt Bertram auf. Er wendet sich an den Reichskommissar, sogar an die SD-Dienststellen, an Wirtschaftsämter, an Privatkonzerne. Es gibt keinen Menschen in Kopenhagen, keinen Dänen und keinen Deutschen, der nicht wüßte, daß der Zusammenbruch des Krieges unmittelbar bevorsteht. Der einzelne Landser sitzt, wie seine Einheit, sozusagen auf dem gepackten Tornister. Jeder will noch heraus aus der dänischen Mausefalle, will sich über den Belt nach Schleswig-Holstein durchschlagen, bevor sie sich endgültig schließt.
    Viele, die sich seit Jahren in dem überfallenen Land herumdrückten, bei Smoerrebrod, Tuborg-Bier, Aquavit und schwarzem Speck, lebten wie Gott in Dänemark, hatten dem Land entzogen, was sie sich in die Tasche steckten, viele, die in der Etappe fett wurden, während die Front verblutete, die die Stellung mit Schnaps und Mädchen hielten, haben allen Grund, im Eilzugstempo aus Kopenhagen zu verschwinden.
    Ihre Fahrzeuge sind mit Sprit betankt und ihre Kofferräume mit Raub gefüllt … im Kleinen wie im Großen, und keine dieser üppigen Maden im dänischen Speck hat Verständnis oder Sprit für eine Todesfahrt nach Gotenhafen …
    Was soll man auch Flüchtlinge retten, wenn es bald heißt: Rette sich, wer kann …
    So prallt ein Kapitän, der nicht aufgeben kann, gegen eine Mauer von Gleichgültigkeit, Ablehnung und Unvermögen. Jeweils am Abend geht er auf sein Schiff zurück und überlegt, welche Dienststelle oder Einheit er noch anbetteln könnte.
    Bevor er sich müde hinhaut, betritt er noch ein Mannschaftsdeck.
    »Achtung!« schreit Maat Möhrenkopf. Seit das Marinekommando an Bord der ›Cap Arcona‹ kam, ist der Ton strammer geworden.
    »Weitermachen!«
    Bertram wehrt erschrocken ab, sieht auf die Back mit dem Schnaps im Kochgeschirr, mit den Speiseresten, sieht über die Männer hinweg, die ganz zufrieden sind, daß die Motoren nichts zu trinken haben.
    »Siebenundzwanzig«, reizt ein Matrosengefreiter beim Skat.
    »Solange der Daumen steht«, erwidert Möhrenkopf.
    Kapitän Bertram sieht in sein Blatt. »Null ouvert«, stellt er mechanisch fest. Es ist wie ein Symbol, denkt er bitter lächelnd, alles spielt hier offen

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