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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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vor Anker liege und daß Christian sie so bald wie möglich besuchen werde.
    Dann kam der kleine Jürgen. Marion schien jetzt Ruhe zu finden, Abstand, selbst an diesem Tag … bis ihr Gastgeber auftauchte, der in Neustadt aufgehalten worden war.
    Der Mann war blass, verstört, und er redete wie unter Schockwirkung, fast zusammenhanglos: »Ich weiß ja nicht, was diese Verbrecher angestellt haben …«, sagte er, »und sie sehen schlimm aus … aber so etwas …« Auf seinen Pupillen schien sich das Grauen zu spiegeln. »Sie haben ihnen einfach eine Schaufel in die Hand gedrückt, ein Loch graben lassen … und dann hinaufgestellt … und einfach … umgelegt …« Der Mann atmete schwer. »Es war schlimm … aber ich dachte, es wären Verurteilte … Verbrecher … Aber dann schleppten sie die Frauen an, und dann die Kinder …«
    »Hören Sie auf!« schrie Marion. Sie sah das erschrockene Gesicht des Mannes. »Entschuldigung«, versuchte sie ihn anzulächeln. Es mißlang, wurde zu einer blassen Grimasse. »Wie viele wurden …«
    »Ich bin weggelaufen«, erwiderte der Zeuge. »Vielleicht 200 … Aber die wollen morgen diese KZ-Häftlinge auf Schiffe verladen … und was keinen Platz hat … einfach erschießen …«
    »Mein Gott«, stöhnte Marion.
    »Ich weiß ja nicht«, fuhr der Mann fort, »was die auf dem Kerbholz haben … aber das kann doch nicht mit rechten Dingen …« Der verstörte Augenzeuge lief mit steifen Schritten weg.
    Marion Fährbach konnte sich nicht rühren.
    »Mutti!« rief der kleine Jürgen, »komm doch … Hunger, großen Hunger.«
    Dann sah der Junge das Gesicht seiner Mutter und brach erschrocken ab.
    Zuerst kommt der SD-Stab an Bord der ›Cap Arcona‹: zwei, drei SS-Offiziere und Unterführer, ausgerüstet wie zu einer Expedition, gefolgt von Kisten, Koffern und Konkubinen. Unter den kommandierten Matrosen, die die Zivilklamotten und Schnapsbestände schleppen müssen, ist Maat Möhrenkopf, dessen gluckernde Last nicht am Funkdeck vorbeikommt.
    »Ich weiß nicht«, sagt er strahlend zu Kaleu Straff, »warum wir immer auf diese Schweine schimpfen … Haben doch auch ihr Gutes.« Er macht die Kiste auf. »Was sagen Sie nun, Kaleu … Cognac, französischer …«
    »Lass dich nicht erwischen!«
    »Unsinn … Die haben so viel Schnaps an Bord gebracht, als ob sie noch ein halbes Jahr an der Macht blieben … und wissen Se, Kaleu, die haben sich auf alles eingerichtet … Sogar mit Freundinnen haben sie sich eingedeckt.« Sein schmaler Möhrenkopf wird noch länger. »Leider kann ich die nicht so leicht klauen wie das Zeugs da …«
    Der unkomplizierte Bursche sieht, daß sein Chef schlechte Laune hat, und sabbert weiter, um ihn aufzuheitern: »Was die sonst noch alles haben … Friedensware, Kaleu …! Wenn ich so zu fressen und zu saufen gehabt hätte, war' ich ooch 'n Nazi …«
    »Halt die Klappe!« fährt ihn Christian Straff an.
    Der Funkoffizier verläßt das Deck. Als erste begegnet ihm die Sekretärin von Langenfritz, und sie lächelt ihn in ihrer üblichen Art an, halb heimlich und halb dümmlich, und sie nickt noch immer bei jedem Wort, das sie sagt, wie ein pickendes Huhn.
    Straff geht zu seinem Kapitän, der sich auf sein Bett geworfen hat und wortlos zur Decke starrt.
    Dann verfolgt der Funkoffizier von der Kommandobrücke aus, wie die ›Athen‹ zum zweitenmal herankommt und anlegt. Er sieht die angebrüllten und gestoßenen Menschen in den Sträflingsanzügen, denkt an Georg, den Freund, und geht zurück in die Funkbude, nimmt dem grinsenden Möhrenkopf wortlos die Flasche aus der Hand, verläßt wieder sein Deck, sucht Jutta, die verschwunden ist, geht nach oben, gerät mitten in die Einschiffung, sucht weiter und bleibt benommen stehen, als er diese fleischlosen, kahlen Gestalten sieht, die brüllende SS-Leute zu Hunderten, zu Tausenden an Bord treiben und die, obwohl sie kaum gehen können, beflissen im Laufschritt vorwärts hasten.
    Christian Straff beobachtet, wie zwei, drei ins Wasser fallen und dort abgeknallt werden.
    Er merkt, wie die Gefangenen nicht wagen, ihn anzusehen, und er steht wie gelähmt.
    Ein schlaksiger Untersturmführer der Waffen-SS mit einem aufgeschwemmten Milchgesicht biedert sich feixend an. »Staunste, Kamerad …« Er sieht Straffs gepreßtes Gesicht und setzt weniger freundlich hinzu: »Lauter Volksfeinde.«
    »Und was sollen die hier an Bord?«
    »Ganz einfach«, erklärt der Bursche, ohne die Zigarette aus der

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