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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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weitergeht«, sagt er, »eines steht fest: Wenn ich den Befehl gebe: ›Alle Mann über Bord ‹, dann heißt das: ›Rette sich, wer kann! ‹ … Herrschaften … und das heißt: ›Untertauchen ‹ … Oder sind wir doof?«
    »Nein, Sturmbannführer!« rufen die Männer vom Stammpersonal durcheinander.
    Sie sind erleichtert, überrascht. Worte, die dieser SD-Offizier jetzt gebraucht, hätten sie vor Tagen noch um Kopf und Kragen gebracht.
    »Aber«, setzt Langenfritz drohend hinzu, »daß mir keiner vorzeitig aussteigt!« Er prostet mit dem nächsten Glas seinen Leuten zu. »Alle oder keiner!«
    »Ein Genie, der Sturmbannführer!« ruft der Vogelkopf Dreiling begeistert. Er schlägt mit beiden Händen auf seine dünnen Oberschenkel. Dann zieht er die Rothaarige an sich.
    Sie schlägt ihm ins Gesicht. Die anderen lachen.
    Dieser Offizier aus Lübeck ist unbezahlbar. Die Idee, die Häftlinge auf Schiffe zu laden und das Marinesonderkommando an Bord zu Bewachern zu ernennen, stammt von ihm. So können sie hier feiern, während die biederen Landsturmsoldaten oben, unter dünner SS-Oberaufsicht, Wache schieben. So leben sie hier in Saus und Braus, während an Land schon alles wild nach Lebensmitteln jagt. So haben sie eine Chance, von dem Pott herunterzukommen, während die Zeugen ihrer jahrelangen Untaten mit den Ratten ersaufen werden.
    Langenfritz zieht Christine, seine Freundin, auf den Schoß. »Wir bleiben zusammen«, raunt er ihr zu.
    »Aber sicher«, antwortet sie. Sie schlägt die Beine übereinander.
    Langenfritz sieht ihre schmalen Knie. Sein Blick läuft ihr über die Beine bis zu den Fesseln hinab. »Toll, wie du aussiehst«, sagt er.
    »Gefalle ich dir?« fragt Christine kokett. Wieder nickt sie bei jedem Wort wie ein pickendes Huhn. Sie ist die Vertraute des Chefs. Sie weiß, daß er seit ein paar Wochen in einem Koffer Zivil, Geld, Ausweise … und Giftkapseln mit sich herumträgt. Sie weiß, daß er vor dem Absprung steht, daß er auf einmal lautlos verschwinden, untertauchen wird, an einem längst vorbereiteten Ort, den nur sie kennt, nicht sein bester Freund, nicht sein ältester Mitkämpfer, denn der Sturmbannführer ist klug genug, in jedem alten Kameraden rechtzeitig einen potentiellen Denunzianten zu sehen.
    Christine betrachtet ihn vorsichtig, abwartend. Sie schätzt seine Gerissenheit und fürchtet seinen Jähzorn. Sie spürt, wie sein Griff an ihrer Schulter fester wird, drängender. Sein schmallippiger Mund öffnet sich wie ein Blumenkelch. Sein Gesicht ist nicht mehr fahlgelb, sondern gerötet, und selbst seine farblosen Haare scheinen vor Erwartung zu glänzen.
    »Ich mag mich ja irren …«, beginnt das Mädchen mit vorsichtiger Einschränkung.
    »Wieso?« fragt er.
    »Aber vielleicht solltest du doch … diese Marineleute nicht so schneiden.«
    »Was meinst du?« fragt er ohne Mißtrauen.
    »Vielleicht sind wir auf sie angewiesen … Wie kommen wir denn runter von diesem Kahn?«
    »Mit den Rettungsbooten«, antwortet Langenfritz.
    »Weißt du, wie man sie zu Wasser läßt?«
    »Nee«, erwidert er.
    »Also …«, sagt Christine.
    »Kluges Kind«, entgegnet Langenfritz, »aber was meinst du, wie ich denen Beine mache! … Kennst doch meine Methode: Mal Peitsche, mal Zuckerbrot …« Er lacht schallend. »Hast du mich ja erwischt, Hühnchen … Na, dir zaus' ich heute noch die Federn!«
    Auf dem Gang entsteht Lärm.
    »Was ist denn los?« fragt Hauptsturmführer Krappmann und reißt die Kabinentür auf.
    Funkmaat Möhrenkopf steht stramm.
    »Na, Sie schiefes Fragezeichen … Sie haben sich wohl verlaufen?«
    »Nein, Herr Hauptmann … Ich suche den Sturmbannführer.«
    »Der hat zu tun«, brummelt Dreiling, der Vogelkopf, belustigt.
    »Gehen Sie doch nicht so mit unseren Gästen um«, sagt Langenfritz jovial und winkt Möhrenkopf näher, nimmt ihm die Meldung aus der Hand, zieht Falten auf der Stirn, während er liest.
    »Hereinspaziert … hereinspaziert!« sagt er fluchend und knüllt das Papier zusammen. »Die wollen uns morgen noch ein paar tausend Häftlinge aufladen«, wendet er sich an seine Leute.
    »Da, trink 'nen Schluck«, sagt Dreiling und drückt Möhrenkopf ein Glas in die Hand. »Na, ihr habt's gut«, sagt der Funkmaat und grinst dämlich.
    »… Wärst auch was geworden«, erwidert der Hauptscharführer.
    »Na … mir soll's recht sein«, brummelt der SD-Mann. »Morgen ist morgen, und heute ist heute.« Er zieht Christine wieder an sich. Seine Hände

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