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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Mundecke zu nehmen. »Wir fahren ein paar Meilen 'raus, und dann versenken wir die ganze Brut mit diesem alten Klapperkasten.«
    »Das bringt nicht einmal ihr fertig«, entgegnet der Funkoffizier.
    »Warum nicht?« fragt das Milchgesicht belustigt.
    »Das ist …«
    »… nötig.«
    »Mord«, versetzt Straff, ohne es zu wollen.
    »Jetzt will ich dir mal was sagen, olle Wasserratte«, erläutert der Totenkopf-Offizier, teils giftig und teils gutmütig. »Wenn du 'n Mensch sein willst, dann bleibst du eben an Bord und siehst zu, wie wir in die Boote steigen … Heil Hitler, du Weihnachtsmann!« Der Untersturmführer tippt sich an die Mütze und geht weiter.
    Immer neue Häftlinge kommen an Bord. Für Christian Straff sehen sie alle gleich aus, und er kann ihnen nicht in die Augen sehen. In diesem Moment erkennt Georg Fährbach seinen Freund. Er will aus der Reihe tanzen, schreien, wird aber schnell zurückgerissen und, während sich eine Hand brutal auf seinen Mund legt, weitergezerrt. Einer der Antreiber haut ihm mechanisch den Gewehrkolben ins Kreuz.
    Der dem Häftling Nummer 8.773 folgende heimliche Lagerleiter Melber ist ihm dankbar dafür …
    Jutta ist verändert. Christian Straff hat ihr über Schiffsarzt Dr. Corbach eine Unterkunft in der Nähe des Lazarettdecks besorgt, aber sie schüttelt den Kopf. Sie hat die Schreckensbilder gesehen, denkt der Funkoffizier, und sie ist verstört, kein Wunder …
    »Der Doktor wird dir ein Beruhigungsmittel geben … und dann schläfst du …«
    »Nein«, erwidert Jutta mit der zu hohen Stimme eines geängstigten Kindes, »ich will weg … sofort, herunter von …«
    »Das habe ich dir drei Tage lang gepredigt«, entgegnet Straff heftig, »und du wolltest nicht.«
    »Aber jetzt … morgen?« fragt Jutta. Sie nimmt Straffs Hand, streichelt sie, mehr mechanisch als zärtlich.
    »Aber was ist denn mit dir, Liebes …?«
    »Nichts«, antwortet sie ausweichend.
    »Sobald es geht, bringe ich dich weg. Das wollte ich ja immer.« Sie sieht zu ihm auf. Sie ist leblos wie eine Puppe, als Christian Straff sie in das Lazarettdeck zurückbringt. Diese verdammten Tage werden auch noch vergehen, denkt er grimmig …
    Dann sieht der Funkoffizier den Möhrenkopf, der abwartend stehen bleibt. »Was ist schon wieder los?«
    Der Funkmaat winkt ihm mit den Augen. »Am Sonnendeck«, sagt er, »will Sie einer sprechen … aber Vorsicht!« raunt er ihm noch zu.
    Sie gehen nach oben.
    »Was wollt ihr hier?« faucht sie der Hauptscharführer mit dem Vogelkopf an.
    »Beine vertreten«, antwortet Christian Straff.
    »Von mir aus«, räumt der Bewacher großmütig ein. »Aber redet mir mit keinem von diesen Schweinen!«
    »Bin ich besoffen?« sagt Möhrenkopf und zieht seinen Chef weiter, in die Richtung eines Häftlings, der regungslos wie ein Holzklotz dasteht.
    Die beiden bauen sich neben ihm auf. Möhrenkopf gibt dem Funkoffizier ein paarmal Feuer, so ungeschickt, daß die Streichhölzer erlöschen.
    »Kennen Sie Georg Fährbach?« raunt der Mann Christian Straff zu.
    »Ja«, erwidert der Seeoffizier erschrocken.
    Der Funkmaat nimmt das fünfte Streichholz.
    »Er ist an Bord.«
    »Wo?«
    »Speisesaal … Vorsicht!«
    Hauptscharführer Dreiling tritt an die beiden heran …
    Plötzlich, wie er kam, legt sich der Ostwind. Der Himmel ist wieder unbewölkt und klar. Die Oberfläche des Wassers wirkt in der Neustädter Bucht glatt wie eine Kinderhaut. Die laue, linde Frühlingsnacht läßt für den Morgen einen Endspurt des Luftkriegs erwarten. Die Menschen, die nach oben sehen, ziehen den Kopf ein. Der Maitag des Jahres 1945 wird sie zu Kellerasseln machen.
    Der neue Herr auf der ›Cap Arcona‹, Ernst Langenfritz, Landratte und SS-Sturmbannführer, läßt zum letzten Mal zum Appell blasen. Er lädt seine Trabanten und sein weibliches Wehrmachtsgefolge in die beschlagnahmten Erste-Klasse-Kabinen ein.
    Noch einmal sollen sich die Instinkte, die seine Leute einst zur Bewegung gebracht hatten, richtig ausleben. Wenn das Tausendjährige Reich schon zum Teufel geht, denkt der Offizier der SD-Leitstelle Lübeck, dann wenigstens mit einem Märchen aus 1001-Nacht … oder dem, was sich ein Mensch seines Schlages darunter vorstellt.
    Die Ordonnanzen schleppen Schnaps, belegte Brötchen, Kerzen und ein ausgeleiertes Grammophon herbei. Die Mädchen – daß es nur fünf sind, macht Sturmbannführer Langenfritz Sorge, aber einige der Herren werden sicher dadurch ausfallen, daß sie vorzeitig unter

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