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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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dem Tisch liegen – tragen Zivil, eine Art luftiger, kesser Cocktailkleider, die sie nicht erst in die Verlegenheit bringen, unter der Hitze zu leiden. Die Favoritin des Gastgebers ist an ihrem affektierten, tänzelnden Gang leicht zu erkennen. Sie schwingt die Hüften, und sie trägt überlange Stöckelschuhe an wohlgeformten Beinen, ein dunkelblaues Chiffonkleid mit straßbesetzten Trägern, die ständig über ihre schmalen Schultern fallen und wieder hochgezogen werden müssen.
    SS-Sturmbannführer Langenfritz quittiert die angeregten Blicke seiner männlichen Suite durchaus wohlwollend. Der Gastgeber kann gleich zur Sache übergehen: zum Suff, denn den obligaten Toast auf Adolf Hitler braucht er nicht mehr anzubringen. Der Führer führt seine Vasallen nicht mehr durch Nacht zum Licht; der Führer ist seit ein paar Tagen tot, ist seinen Getreuen vorausgegangen, ohne ihnen zu sagen, wie sie aus der Klemme kommen sollen, zum Beispiel von KZ-Schiffen herunter und an Kriegsverbrechertribunalen vorbei …
    Langenfritz winkt Hauptscharführer Dreiling herbei, der für den rollenden Einsatz der Getränke sorgen soll, und ruft laut: »Schneller, Sie Pflaume, noch 'ne Lage!« Er nimmt ein Glas vom Tablett, schüttet es hinunter und setzt hinzu: »Überhaupt ist die Lage beschissen …«
    Die Umstehenden lachen, als führten sie einen Befehl aus. Im gleichen Moment legt SS-Hauptsturmführer Krappmann, der Lagerhaftführer des KZs Neuengamme, die Platte auf: »Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern …«
    Langenfritz goutiert den Witz, klopft dem bewährten Totenkopfmann anerkennend auf die Schulter und sagt: »Gut, daß Sie Ihren Humor nicht verloren haben … mir gefällt das … Leider ist hier bald Feierabend«, er hebt die Oberlippe, zeigt die Raucherzähne, »sonst würde ich Sie noch zur Beförderung einreichen.«
    »Danke, Sturmbannführer«, sagt Krappmann stramm. Dann greift er wieder nach der Flasche, faßt sie am Hals, als wollte er sie würgen wie diese Zebrasklaven.
    Der Gastgeber geht zu den Damen weiter. Sie haben hübsche Figuren und leere Gesichter. Es sind noch junge Mädchen, aber sie haben im Dienst für Führer, Volk und Vaterland mehr Erfahrung gesammelt als reife Frauen, obwohl sie meistens z.b.V. gestellt waren, jener besonderen Verwendung vorbehalten, wie sie der heutige Bordabend darstellt.
    »Gefällt's euch?« fragt Langenfritz, der Gönner.
    »Natürlich«, antworten sie im Chor.
    Das Kerzenlicht züngelt über ihre bloßen Schultern. In ihren Augen irrlichtert die Gier nach einem Leben, von dem sie nicht wissen, wie es weitergeht. Immer haben sie sich gewünscht, auf ein Schiff zu kommen, aber nicht auf einen solchen Gespensterdampfer, in dessen unteren Decks sich lebende Gerippe mit Totenschädeln bewegen, deren Augen in den tiefen Höhlen wie blind wirken, die getreten, geschlagen und gestoßen werden, die man hier aufeinander wirft wie auf einen Komposthaufen.
    Das Grauen macht den Mädchen Durst, und der Schnaps nimmt ihnen die Angst. Deshalb lachen und tollen sie herum, tanzen, schreien, kreischen sie, lassen sie sich von den Männern zuprosten, und animieren sie für die Nacht.
    »Wir lagen vor Madagaskar …«, grölt Hauptsturmführer Krappmann. Sein Gesicht ist verkniffen, sein Mund schief, sein Blick stumpf.
    »… Und hatten die Pest an Bord …«, schreit Dreiling. Er lacht schallend. »Pest ist gut, was?«
    »Es darf auch artfremd getanzt werden!« überbrüllt der in Fahrt kommende SS-Sturmbannführer seine Party.
    Christine, seine Freundin, beobachtet ihn von der Seite. Zum erstenmal seit Tagen ist er gutgelaunt und vielleicht auch ansprechbar. Das Schiff macht ihm Spaß. Es war sein Gedanke. Weiß der Teufel, wie er aus Lübeck herausgekommen wäre, aber von einem Schiff, so meint der SD-Mann, kommt man immer noch leichter herunter als aus einer Stadt heraus …
    »Und was machen Sie später?« fragt eine Brünette Krappmann. »Weiß ich nicht«, brummelt der Lagerhaftführer. »Jedenfalls verlasse ich den Kahn nicht, solange eines von diesen gestreiften Schweinen noch lebt …«
    »Prima Dienstauffassung«, lobt Langenfritz, »aber nicht übertreiben, mein Lieber …« Er bietet ihm eine Zigarette an. »Wir werden das Problem hier schon lösen … so oder so …« Er starrt auf den Boden und lächelt breit. »Mal herhören!« ruft er seinen Leuten zu.
    Nur ein Mädchen kichert hinterher; die anderen sind sofort ruhig. »Ich weiß nicht, wie das mit uns

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