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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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einer der Kriminellen, bei der SS; sagt er zu wenig, so begreifen vielleicht diese lethargischen, verhungerten Häftlinge zu spät.
    Endlich kommt Christian Straff in das Lazarettdeck. »Morgen«, sagt er.
    Melber ist überrascht von Straffs Sicherheit.
    »Morgen sind die Engländer da … spätestens morgen Mittag … in 18 Stunden, Meister Melber … Wenn wir diese 18 Stunden überleben, haben wir es geschafft, kapiert?«
    Melber nickt. Er ist hellwach. Er hat keine Wahl mehr, er muß Straff trauen, und er tut es konsequent. Mittlerweile ist Melber mit dem Funkoffizier der Meinung, daß die Männer des Marinekommandos sich nicht dazu hergeben werden, die ›Cap Arcona‹ mit Tausenden eingesperrter Menschen auf Grund zu setzen. Er schätzt die Gefahr richtig ein: ein Bombardement aus der Luft.
    »Ich habe heute Nacht neun Männer durch ein Bullauge an einem Seil zu Wasser gelassen«, sagt der Kommunist zu Straff, »Entkräftete in Häftlingsklamotten … Sie sollen Verbindung zu den Engländern oder Russen aufnehmen … Es ist so gut wie unmöglich … aber wenn wir nicht ab und zu einen Versuch machen, werden wir noch verrückt …« Melber atmet schwer.
    »Ich habe einen Vorschlag«, entgegnet Straff. »Ich habe mir eben drei Passierscheine besorgt … Morgen früh werde ich mit Fährbach und … wie heißt dieser britische Captain?«
    »Gladon«, sagt Melber.
    »… das Schiff verlassen und den Engländern entgegenziehen.«
    »Wie?« fragt Melber.
    »In Marineuniform … verstehen Sie … Ich werde zwei Uniformen besorgen und unter den Augen dieser SS-Leute mit einer Barkasse an Land fahren …«
    Der Kommunist denkt nach. Er begreift. In seinem knappen, schmalen Gesicht lebt etwas auf. Ein wärmendes Gefühl kriecht ihm über den Rücken, ein Gefühl, das er seit Jahren nicht mehr spürte, eine Empfindung, wie sie die lange, aussichtslose Zeit im Lager getötet hat. »Das wollen Sie für uns wagen?« fragt er leise.
    »Nicht für euch«, erwidert der Funkoffizier brüsk, »für uns alle.«
    Melber nickt. Dann kommt er zur Sache, tastet die Gefahr ab, sucht mechanisch nach Lücken des Plans. »Wo wollen Sie die Uniformen hernehmen?«
    »Die beschaffe ich.«
    »Und wo sollen sich die Häftlinge umziehen?«
    »In der Funkkabine«, antwortet Straff.
    »Aber da sind Sie doch nicht allein?«
    »Mein Maat macht mit … Ich brauche ihn nicht erst zu fragen.«
    »Mensch«, erwidert der heimliche Lagerleiter ergriffen, »wenn das klappen würde …« Er läßt Fährbach rufen. Der Häftling Nummer 8.773 geht wie geschoben auf den Freund zu.
    »Georg«, sagt Straff fest und klopft ihm auf die Schulter. »Ich komme von Marion … Alles in Ordnung … alles andere später … Und jetzt hör zu …«
    Er entwickelt seinen Plan. Er will keinen Einwand zulassen und schleudert ihm die Worte gegen den Kopf wie gezogene Handgranaten.
    Georg Fährbach schaut auf den Boden. In seinem Gesicht wühlen Hoffnung und Angst. »Nein«, sagt Georg dann hart. »Ich lasse das nicht zu … Ich will nicht, daß du für uns …«, er atmet schwer, »vor die Hunde gehst, wo du …«
    »Quatsch!« versetzt der Funkoffizier brutal. Er tauscht einen Blick mit Melber. Ihre Augen verstehen einander. Dann holt Christian das Foto Marions und des Jungen hervor und sagt zischend: »Hier.« Er wirft das Bild dem Freund zu wie einen Fehdehandschuh. Er lächelt dabei, weil er weiß, daß diesem Tiefschlag keiner widerstehen kann …
    Am Vormittag, als der britische Aufklärer über der Bucht von Neustadt kreiste, kamen über 2.000 weitere Häftlinge auf die ›Cap Arcona‹. Die Russen mußten wieder in den Bananenkeller. Dreißig von ihnen erstickten und wurden auf das Oberdeck geschafft. Während der Nacht sollten sie einfach über Bord geworfen werden. Der gezielte Mord im Bananenkeller hörte auf, als Dr. Corbach bei einem Toten die Diagnose Typhus stellte. Nach einigem Zögern willigte Sturmbannführer Langenfritz ein, daß in der Nähe des Lazaretts weitere Kabinen für die Häftlingspatienten freigemacht wurden.
    Bevor noch die illegale Häftlingsleitung die von Funkoffizier Christian Straff organisierten Kommissbrote übernehmen kann, sind es nur noch 1.004. Als die Häftlinge mit Wasser versorgt waren, erhob sich der Hunger, wurde zum Wahn, zur Macht, zur Psychose. Die Brote werden an Oberdeck zu einem Rechteck aufgeschichtet und vier Mann des Marinekommandos abkommandiert, um Straffs überdeckte Beute zu bewachen. Die vier

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