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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Glanz streichelt die Wellen, ihre prallen Strahlen legen sich auf die Stahlhelme der Soldaten, auf die Kuppeln ihrer Panzer, sie streicheln die Visiere ihrer Waffen. Die Sonne scheint den Soldaten heiß in die Gesichter, und sie macht keinen Unterschied zwischen den Fronten, sie leuchtet den Siegern wie den Besiegten, und sie bestrahlt die Lebenden wie die Toten.
    Der Frühling ist auf dem gleichen zügigen Vormarsch wie die Alliierten, aber er überrundet sie, entfaltet Knospen, öffnet die weißen Blütenkerzen der Kastanien und macht die Wiesen sattgrün: vereinzelt blüht schon der Flieder.
    Der englische Bomberpulk kommt von Südwesten. Sein emsiger Einsatzhafen liegt schon auf deutschem Gebiet und wird jetzt von der Royal Air Force benutzt wie früher von der Luftwaffe. Dieser Verband, ein gemischtes Geschwader von fliegenden Festungen, Jagdbombern und Jägern, die die Formation umkreisen wie tollende Kinder, hat nur eine halbe Stunde Anflug zur Hauptkampflinie.
    Auf den Generalstabskarten war die Front noch am Morgen zwischen Lübeck und Neustadt abgesteckt. Wenige Stunden später haben die britischen Panzerverbände durch Funkspruch gemeldet, daß sie dabei sind, im raschen Vormarsch zur Ostseeküste durchzustoßen. Sie überrollen den dünnen deutschen Widerstand und werden, wenn alles klappt, etwa gleichzeitig mit dem Luftverband das Hafenbecken von Neustadt erreichen.
    Die Formation fliegt in viertausend Meter Höhe. Exakt, präzise wie bei einer Luftparade. Die blitzenden Rümpfe glänzen im Sonnenlicht wie Silberpfeile. Hunderte von Motoren dröhnen mit einem Schlag, sie singen wuchtig in den Ohren der Besatzungen und vibrieren in ihren Nerven. Die britischen Flieger bringen gerade den dritten und hoffentlich letzten Einsatz dieses Tages hinter sich, und sie hatten bis auf zwei zusammengestoßene und geplatzte ›Mustangs‹ an diesem Tag noch keine Verluste.
    Die Luft ist klar, durchsichtig. Nicht eine einzige Bö. Die Tragflächen zittern leicht wie hechelnde Hunde, auf den glitzernden Aluminiumschwingen betrachtet sich die Sonne wie im Spiegel. Ein im Vorausflug die Erde sondierender Jäger meldet per Funk leichten Flakbeschuß.
    Der Verband weicht nach Westen aus, zieht einen flachen Halbkreis und geht wieder auf Kurs Neustadt, dessen Hafen zum Sterben verurteilt ist.
    Unter den Schwingen der Maschinen hängt der Tod. Gleich werden die Bomben wie jeden Tag Dutzende, Hunderte von Menschen wahllos erschlagen. Wenn unten Stichflammen gegen den Himmel lohen, sind die Maschinen fertig zum Rückflug. Die Soldaten in den Rümpfen haben sich längst abgewöhnt, darüber nachzudenken, daß ihre krepierenden Bomben auch Frauen und Kinder erschlagen. Sie fragen nicht danach, wer sterben wird, denn sie wissen, daß jede Bombe den Krieg verkürzt, der in den letzten Zügen liegt.
    Der Angriff aus der Luft ist sorgfältig geplant. Zuerst werden sich die ›Mustangs‹ und ›Mosquitos‹ im Tiefflug auf die kleineren Schiffe stürzen, den Flakwiderstand brechen, die Hafenanlagen beschießen und so den konzentrierten Angriff der schweren Maschinen auf die ›Cap Arcona‹ vorbereiten. Die Royal Air Force weiß nicht, daß der dicke, auf 30.000 Tonnen geschätzte Pott so heißt; sie hält ihn für einen deutschen Truppentransporter, und dieser verhängnisvolle Irrtum ist in wenigen Minuten mit Tausenden von Toten bar zu bezahlen …
    Der Verband erreicht Lübeck und überfliegt ohne Widerstand den westlichen Stadtrand. Es ist 14 Uhr 16, und Neustadt kommt in Sicht.
    »Auseinanderziehen«, befiehlt die Führungsmaschine durch Sprechfunk.
    Die Bomber ziehen in größere Höhe, verdoppeln die Distanz untereinander, während die Jäger wie Falken nach unten schießen, auf Kolonnen der Wehrmacht, auf Artilleriestellungen, auf auseinanderflitzende Einheiten. Einige erpreßte Narren mit grauen Gesichtern schießen mit leichten MGs nach oben. Genauso gut könnten sie gegen den Himmel spucken. Pimpfe sichern Panzersperren, und Greise heben Stellungen aus, die an anderer Stelle längst von den Panzern durchbrochen wurden.
    Bis auf die Menschen, die an diesem Tag sterben werden, ist der Krieg eigentlich nur noch eine Formsache.
    »Fertigmachen zum Angriff«, befiehlt der Colonel aus der Maschine an der Spitze. Unten liegt die Ostsee blau und glatt. Die grauen Konturen der Schiffe heben sich deutlich ab, und sie liegen noch immer da, reglos und still wie satte Kühe auf der Weide. Sie können nicht fliehen, weil sie kein Öl

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