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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sie unterschreiben soll, ist verschwunden und wird an Oberdeck gefunden, wo er sich sonnt.
    Endlich ist es soweit. Die Schaluppe tuckert heran. Straff hat Juttas Utensilien gepackt. »Komm jetzt«, sagt er.
    »Ja«, erwidert das Mädchen. Jetzt, da sie mit einem Fuß schon an Land ist, möchte sie Christian sagen, wie sehr sie ihn mag, möchte ihn bitten, bei ihr zu bleiben, nicht mehr zurückzukehren auf dieses verdammte Schiff, irgendwo unterzutauchen und sich überrollen zu lassen.
    »Weiß schon«, sagt der Funkoffizier, beugt sich zu ihr herab und küßt sie flüchtig, »nun komm aber …«
    Er geht voraus. Sie ist zwei, drei Schritt hinter ihm. Straff sieht Langenfritz im Liegestuhl. Um zu der Schaluppe zu kommen, muß er an ihm vorbei. Auch das noch, denkt er und nimmt sich vor, schneidig »Heil Hitler« zu rufen.
    Juttas Hand löst sich aus seinem Griff. In plötzlicher Platzangst bleibt das Mädchen stehen.
    »Komm, Liebes«, sagt der Funkoffizier. Er sieht, wie Jutta in langen, gehetzten Sätzen in das Lazarettdeck zurückflieht. Er folgt ihr unwillig. »Was hast du?« fragt er.
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Ich kann nicht länger warten, wir müssen von Bord, sei doch vernünftig, Jutta …«
    »Ich kann nicht«, erwidert sie stockend. »Er ist oben … Weißt du … Vater …«
    Erschrocken begreift Christian Straff, daß der SS-Sturmbannführer Langenfritz Juttas Vater ist …
    Endspurt des Krieges. Das Marschziel der britischen Armee ist die Ostsee-Küste. Die Panzer sind aufgetankt, die Offensive beginnt. Viel Widerstand ist nicht zu erwarten. Aber der englische General will, um Blut zu sparen, auf Nummer Sicher gehen.
    In der Luft tummeln sich die Jabos, aber gleichzeitig steigen Nahaufklärer zu einem Patrouillenflug über der Küste auf. Eine Zweimotorige dreht über der Bucht von Neustadt eine Schleife. Die Schwingen glitzern in der Sonne. Tief unter der Maschine liegt das Hafenbecken von Neustadt, die Schiffe wirken klein wie Käfer, aber unter ihnen ragt ein dicker, grauer Pott hervor.
    »He, Mac«, ruft der Beobachter in sein Kehlkopfmikrophon, »geh doch mal tiefer, den Kasten schauen wir uns an …«
    Die britische Luftaufklärung ist auf die ›Cap Arcona‹ gestoßen …
    Der Pilot des zweimotorigen britischen Nahaufklärers ist ein alter Fuchs, und deshalb möchte er nicht noch unmittelbar vor Torschluß dieses verdammten Krieges sinnlos den Helden spielen. Er drosselt die Motoren und sieht nach unten. Auf der glitzernden Wasserfläche liegen reglose Pötte wie satte Kühe auf der Weide.
    Dann reißt er die Maschine steil nach oben, sucht die Sonne, kurvt sich das gleißende Licht in den Rücken, schießt aus dem Glutball in die Tiefe und wartet in gedehnten, gefährlichen Sekunden darauf, daß die Schiffe unter ihm im Zick-Zack-Kurs bei äußerster Kraft hin und her flitzen oder ihn aus allen Flakrohren beschießen.
    Nichts geschieht.
    In der Bucht von Neustadt bleibt es still, unheimlich still.
    Der Pilot kreist eng über dem Hafenbecken. Eine Falle, denkt er, gleich werden wir die Sprengwolken der Flak sehen, gleich werden die Schwingen unseres Vogels im Explosionsdruck der Granaten flattern, gleich werden die glänzenden Spinnweben der Leuchtspurmunition nach uns greifen …
    Wieder nichts.
    Der Beobachter starrt nach unten. Längs des dicken Pottes hat ein kleinerer Dampfer angelegt. Sicher ein Versorgungsschiff, überlegt der Engländer, von dem der fette Käfer Öl übernimmt. Der Beobachter kann nicht erkennen, daß die ›Cap Arcona‹ Menschenleben aufbunkert. »He, Mac«, ruft er dem Flugzeugführer über sein Kehlkopfmikrophon zu, »geh noch tiefer!«
    »Mist!« flucht der Pilot, sucht die Sonne nicht, stellt den Vogel auf die Schnauze, schießt nach unten, in diese vorweggenommene Idylle des Friedens hinein, die doch nur ein Hinterhalt für einen einsamen Aufklärer sein kann.
    Jetzt sieht der Beobachter, daß das größere Schiff von dem kleinen Menschen übernimmt, die, einer hinter dem anderen, wie über eine Hühnerleiter des Schicksals hochklettern und auf die Luken zurennen und in den unteren Decks verschwinden.
    »Ein fetter Fisch!« ruft ihm der Flugzeugführer zu. Er merkt, wie seine Hände am Knüppel schweißnaß werden, und hofft inständig, daß jetzt die Flak nach ihm schießt und diese lähmende, gespenstische Stille beendet, daß er dann abdrehen und davonschießen kann, mit Vollgas beider Motoren, und daß er dann diesen verdammten Auftrag hinter sich

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