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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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hat, zum Einsatzhafen zurückfliegt und wieder einmal heil aufsetzt, bis zum nächstenmal. Aber das kann nicht mehr schlimm sein – morgen oder übermorgen, spätestens in einer Woche, ist der Krieg aus, und dann hört er höchstens noch auf eine hübsche Stewardess und nicht mehr auf einen albernen Beobachter, der für das Victoria-Kreuz rasch noch Kopf und Kragen riskiert …
    »Was, verladen die jetzt noch Soldaten?« brummelt der Beobachter. »Ich kann's nicht glauben … Noch 'ne Runde!« ruft er dem Piloten zu.
    »Greenhorn«, flucht der Mann am Steuerknüppel und schwenkt über den Hafenanlagen nach links, erhält jetzt vom Ufer her vereinzeltes, unkonzentriertes Flakfeuer, aus Rohren, die zu müde geworden sind, um noch weiter zu schießen, lacht grimmig und fliegt den Dampfer von vorn an, sieht die seltsamen Deckaufbauten.
    Zu welchem Schiff, überlegt der Beobachter, gehören dieses Promenaden- und Bootsdeck, die senkrecht aus dem Wasser steigende Linie des wuchtigen Vorderstevens, die leicht nach hinten abfallenden Masten und Schornsteine, diese ausladende Kommandobrücke, die die ganze Breite des Decks beherrscht?
    Der Mann am Steuer geht rapide mit der Höhe herunter, 300 Meter, 200, 80, 50; er flucht und fleht gleichzeitig, daß die Flak auf diesem verdammten Kahn weiterpennt, ist jetzt fast über dem Schiff, das er auf 30.000 Bruttoregistertonnen schätzt, saust im wahnwitzigen Tempo darüber hinweg wie ein fliegender Fisch, dessen silbriger Bauch in der Sonne glänzt.
    »Nach Hause!« brüllt der Beobachter in sein Mikrophon. Selbst aus dem meckernden Geräusch erkennt der Pilot noch, wie aufgeregt sein Kamerad ist.
    »Was ist denn los?« fragt er.
    »Gib Gas, Mac!« entgegnet der Mann, der glaubt, einen deutschen Truppentransporter ausgemacht zu haben, der bald irgendwo an der Ostseeküste, im Rücken der britischen Truppen landen wird.
    Die zweimotorige Maschine gerät noch zweimal unter zerfahrenen Flakbeschuß, dann setzt sie der Pilot sicher auf, springt mit einem Satz aus der Kanzel und hastet im Laufschritt auf seine Dienststelle zu.
    »Ich kann es nicht glauben«, sagt Marion Fährbach, »alles kommt zu rasch … Diese fürchterlichen Tage und Stunden, und jetzt …« Ihr Gesicht ist von innen heraus erhellt. In ihren Augen schwimmt die Freude. »Und er ist wirklich gesund?« fragt sie.
    »Ja«, antwortet Christian Straff.
    »Und du sagst es nicht bloß, um mich …«
    »Nein, Marion, ich schwöre dir, Georg ist gesund und munter, und … Wir alten Mariner helfen ihm doch, wo wir können … Und diese SS-Bullen sind so klein und mickrig … Die erkennst du nicht wieder, die wissen, was ihnen bevorsteht …«
    »So ein Glück … so ein Zufall, Georg auf deinem Schiff … unter deiner Obhut … Dann ist doch alles gut, dann ist doch …«
    »Ja«, antwortet Christian und hat Angst, daß sein Lächeln verunglücken könnte. »Alles ist gut … Du brauchst jetzt nur noch ruhig zu bleiben und ein, zwei Tage auszuhalten. Und bitte mit keinem Menschen darüber sprechen, Marion …!«
    Christian Straff beschäftigt sich rasch mit dem kleinen Jürgen. Er will die junge Frau ablenken, er will nicht erkennen lassen, wie trostlos die Lage auf der ›Cap Arcona‹ ist. Er fährt dem Jungen über die Haare, zupft ihn an den Ohren. »Er sieht aus wie Georg«, sagt er, »genau seine Augen, seine Nase, seinen Mund …«
    »Aber das weiß ich doch«, entgegnet Marion zerstreut.
    »Ich muß zurück … zurück auf das Schiff«, sagt der Funkoffizier dann.
    »Soll ich etwas mitgeben … etwas zu essen, oder rasch noch einen Brief schreiben … oder …«
    »Nichts«, antwortet Christian, »wir haben alles, wir sind bestens eingedeckt.«
    »Meinst du, daß diese Luftangriffe … eine große Gefahr sind?« fragt Marion. Über die Iris ihrer großen, dunklen Augen zieht die Angst wie ein Schatten.
    »Unsinn«, wehrt Christian Straff ab. »Die Engländer werden doch nicht ein Schiff mit KZ-Häftlingen bombardieren … was denkst du denn?«
    »Du hast recht, Christian«, sagt die junge Frau lebhaft.
    Sie steht vor ihm, zierlich, grazil, eine Tosca, die erfährt, daß Cavaradossi nur zum Schein erschossen wird, daß alles nur Theater, Täuschung, Trick ist. Und sie glaubt es, weil sie es glauben möchte.
    In diesem Moment weiß Christian Straff, was er zu tun hat, faßt er einen verwegenen Entschluß, will er verhindern, daß sich Tosca vom Felsen hinabstürzen wird … »Also Geduld,

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