Fünf Wochen im Ballon
zugehen und vielleicht die Nilquellen, dies bis jetzt undurchdringlich gebliebene Geheimniß, entdecken. So nahe an den Quellen des großen Flusses kann ich nicht schlafen.«
Kennedy und Joe, die weniger von wissenschaftlichem Enthusiasmus aufgeregt wurden, schlummerten bald ruhig unter der Wacht des Doctors ein.
Am Mittwoch, dem 23. April, machte sich der Victoria um vier Uhr Morgens bei bedecktem Himmel segelfertig; die Nacht hob sich langsam von den Ufern des Sees, die ein dichter Nebel verhüllte, aber bald zerstreute ein heftiger Wind die schwere Luft. Der Victoria schwankte einige Minuten nach verschiedenen Richtungen hin und her, und hielt endlich geraden Weges auf Norden zu.
Doctor Fergusson schlug vor Freude in die Hände.
»Wir sind auf gutem Wege, rief er aus, heute oder nie werden wir den Nil sehen! Meine Freunde, hier überschreiten wir den Aequator! Wir treten in unsere Hemisphäre ein!
– Oho! rief Joe aus, Sie meinen, daß hier der Aequator durchgeht?
– Allerdings, mein wackerer Junge.
– Nun, verzeihen Sie, Herr, es scheint mir passend, daß wir ihn ein wenig einweihen, und zwar ohne weiteren Zeitverlust.
– Ein Glas Grog möge zur Feier des Tages geopfert werden! antwortete der Doctor lachend; – Du hast eine Weise, Dich mit der Kosmographie zu befassen, die nicht übel ist.«
Und so wurde das Passiren der Linie an Bord des Victoria feierlich begangen.
Dieser schwebte in raschem Fluge vorwärts. Im Westen bemerkte man die niedrige und wenig unebene Küste, im Hintergrunde die höheren Plateaux von Uganda und Usoga. Die Schnelligkeit des Windes wurde außerordentlich: mehr als dreißig Meilen auf die Stunde.
Die gewaltsam aufgewühlten Wasser des Nyanza schäumten wie die Wogen eines Meeres. An gewissen tiefgehenden Wasserstrudeln, welche sich nach schon eingetretener Windstille noch lange hin und her bewegten, erkannte der Doctor, daß der See eine große Tiefe haben müsse. Kaum sah man während dieser schnellen Ueberfahrt ein oder zwei rohe Barken.
»Dieser See, sagte der Doctor, ist augenscheinlich durch seine erhabene Lage das natürliche Flußbecken der Ströme des östlichen Theiles von Afrika. Der Himmel giebt ihm an Regen wieder, was er ihm anderweitig entzieht. Es scheint mir nunmehr gewiß, daß der Nil dort seine Quelle hat.
– Wir werden sehen«, versetzte Kennedy.
Gegen neun Uhr näherte man sich der Westküste; sie schien verlassen und bewaldet. Der Wind erhob sich ein wenig gegen Osten, und man konnte das andere Ufer des Sees erblicken. Dasselbe krümmte sich derartig, daß es in einen sehr stumpfen Winkel gegen 2°40’ nördl. Br. auslief. Hohe Berge erhoben ihre dürren Gipfel an diesem Ende des Nyanza; aber zwischen ihnen, in einem tief ausgehöhlten Schlunde, brach ein siedender Fluß sich Bahn.
Während Doctor Fergusson mit der Handhabung seines Luftschiffes beschäftigt war, ließ er seine Blicke begierig über das Land schweifen.
»Seht! rief er, seht, meine Freunde, die Erzählungen der Araber waren genau! Sie sprachen von einem Flusse, in welchen der Ukerewe-See sich nach Norden zu ergösse: dieser Fluß existirt, wir fahren ihn hinunter, er fließt mit einer Geschwindigkeit, die sich mit unserer eigenen Schnelligkeit vergleichen läßt; und dieser Wassertropfen, welcher zu unsern Füßen verrinnt, wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit den Fluthen des Mittelmeers vereinigen! Es ist der Nil!
– Es ist der Nil! wiederholte Kennedy, der sich von der Begeisterung Samuel Fergusson’s fortreißen ließ.
– Es lebe der Nil!« sagte Joe, der gern ein Vivat ausbrachte, wenn er freudig gestimmt war.
Ungeheure Felsen hemmten hie und da den Lauf dieses geheimnißvollen Flusses: das Wasser schäumte, es bildeten sich Stromschnellen und Katarakte, welche den Doctor in seiner Ansicht, daß hier die Quelle des Nils zu suchen sei, bestärkten. Von den umliegenden Bergen ergossen sich zahlreiche, bei ihrem Falle wild schäumende Bäche. Man sah aus dem Boden vereinzelte dünne Wasserstrahlen hervorsprudeln, die sich kreuzten, in einander flossen, an Schnelligkeit wetteiferten, und sämmtlich dem werdenden Flusse zueilten, welcher, nachdem er sie aufgenommen, zum Strome wird.
»Es ist der Nil! wiederholte der Doctor mit voller Ueberzeugung. Der Ursprung seines Namens hat die Gelehrten, ebenso wie der Ursprung seiner Gewässer, leidenschaftlich erhitzt. Man hat ihn aus dem Griechischen, dem Koptischen, dem Sanskrit abgeleitet; übrigens kommt nichts darauf
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