Fünf
Sigart sich nicht an ihre Abmachung gehalten hatte. Was, wenn er nun Fotos vom brennenden Mooserhof schickte? Warum hatte sie ihre Sinne nicht besser beisammen, dann wäre längst ein Einsatzwagen unterwegs, um sich zu vergewissern, dass mit ihrer Familie alles in Ordnung war. Dass alle am Leben waren.
«Bea? Geht es dir schlechter?»
«Nein … ich – mach sie auf, Florin.» Sie schloss die Augen, presste die Lider aufeinander. «Ist es ein Foto?»
Eine Sekunde lang antwortete er nicht, und sie fühlte, dass gleich etwas in ihr zerreißen würde.
«Nein», sagte er endlich. «Aber ich verstehe nicht alles.»
«Zeig her.»
Florin hielt ihr das Handy vors Gesicht. Erst verschwamm die Schrift vor ihren Augen, dann wurden die Buchstaben klar und scharf.
Thanks for the hunt, Beatrice.
JAFT .
N 47 ° 28 . 239 E 13 ° 10 . 521
Sie hätte erleichtert sein sollen, aber das gelang ihr nur, soweit es ihre Kinder betraf. Er würde ihnen nichts tun. Niemandem mehr. Es war überstanden. Sie sagte sich das Wort mehrmals stumm vor, aber es nahm ihr nicht die Leere, die sich in ihrem Inneren breitmachte.
«Er schickt uns zu neuen Koordinaten.» Florin schien es kaum glauben zu können. «Hat er nicht begriffen, dass wir eine Großfahndung nach ihm einleiten und nicht mehr auf seine Spielchen eingehen werden?»
«Doch. Das weiß er. Mit Sicherheit.» Sie würde Florin erklären müssen, wofür genau Sigart sich bei ihnen bedankt hatte, immer und immer wieder. Ihm allein. Aber nicht heute.
« JAFT . Wollte er JAGD tippen und hat sich dabei geirrt?»
Beatrice schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte mehrmals über die Abkürzung schmunzeln müssen. Eine von denen, die sie sich leicht gemerkt hatte. «Just another fucking tree», murmelte sie, während oben an der Straße der Krankenwagen hielt. «Ein Baumcache mit Seiltechnik.»
Florin ließ sich nicht davon abhalten, Bea zu begleiten. Der Anruf erreichte ihn noch auf der Fahrt ins Krankenhaus. Mit den Koordinaten in der SMS hatte Stefan Sigart gefunden. Erhängt an einem Baum.
So schnell. Er musste alles von langer Hand vorbereitet haben – eine Schlinge knüpfte sich leichter mit zehn als mit sieben Fingern.
Der Notarzt überprüfte die Infusion, über die Beatrice erwärmte Kochsalzlösung verabreicht bekam. Sie schloss die Augen.
Ein Verlierer, mit Narben innen und außen
. Hatte er am Ende noch eine Chance gehabt, doch etwas zu gewinnen?
Eine Wette vielleicht. Oder einen Abgang nach eigenen Regeln.
Das Flugzeug umkreiste Beatrices Bett, wobei es abenteuerliche Manöver vollführte und besorgniserregende Geräusche von sich gab.
«Ich bin eine Boeing 767 , und ich lande jetzt in Afrika!», krähte das Flugzeug.
«Sei still, Mama soll Ruhe haben.» Mina saß neben Beatrice und hielt ihre Hand, vorsichtig, als wäre sie aus gesponnenem Zucker. «Immer macht er Krach. Pass auf, gleich wirft er die Stange um.»
Tatsächlich schrammte Jakob gefährlich nahe am Tropf-Ständer vorbei und fegte bei seinem Ausweichmanöver die Zeitungen vom Nachttisch.
«Jakob! Heb das sofort auf!» Kommandoton, aber für Minas Verhältnisse beinahe liebevoll.
«Graaaaah! Ich bin ein Tiefseebagger, und ich ziehe das gesunkene Schiff nach oooooben!» Mit lautem Klatschen landete der Zeitungsstapel wieder auf dem Nachttisch.
In zwei Tagen würde Beatrice nach Hause dürfen. Sie sehnte ihre Entlassung so heftig herbei, dass es schmerzte.
«Sollen wir essen gehen, wenn ich draußen bin? Was meint ihr? Oder soll ich kochen?»
«Nein, das kannst du nicht so gut», sagte Jakob und drückte ihr einen nassen Kuss auf die Stirn. «Ich will zu McDonald’s.»
«Und du?» Beatrice streichelte Minas Handrücken.
«Weiß nicht. Zu Hause. Oder … wir könnten im Mooserhof essen, und Papa könnte dazukommen.» Sie sah Beatrice vorsichtig an. «Glaubst du, das geht?»
Er muss ja nicht neben mir sitzen
. «Ganz sicher. Wir machen es so: einmal essen bei Oma, einmal bei McDonald’s, und einmal koche ich.»
«Und dann fangen wir wieder von vorne an», schrie Jakob und ließ sich quer über sie fallen.
Es klopfte an der Tür, und Richard kam herein. Gelbe Rosen in der linken Hand, eine neue Zeitung in der rechten. Seit er erfahren hatte, dass der Mann, der beinahe seine Schwester getötet hatte, ihn als Informationsquelle für Details aus ihrer Vergangenheit benutzt hatte, war er kein einziges Mal ohne Blumen im Krankenhaus aufgetaucht.
«Es steht schon wieder etwas Neues über
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