Fünf
Wie immer. «Morgen, halb zwei, aber pünktlich. Und pack den Kindern diesmal wenigstens eine Jacke ein, und damit meine ich: jedem Kind eine. Mina hat das letzte Mal erbärmlich gefroren.»
Nicht provozieren lassen. «Klar. Morgen, halb zwei, pünktlich», sagte sie knapp. «Inklusive warmer Kleidung. Und ruf um diese Zeit nicht mehr an, die Kinder brauchen nicht nur ihre Jacken, sondern auch genügend Schlaf.»
«Mich musst du nicht belehren!»
Beatrice legte auf, es war wie ein Reflex. Noch etwas, das er gegen sie verwenden konnte. Die wohlige Müdigkeit von vorhin war verschwunden, ihr Herz schlug so heftig, als wäre sie kilometerweit gelaufen. Wenigstens hatten die Kinder sich bisher nicht gerührt. Sie bookmarkte das Cache-Wiki und fuhr den Laptop herunter, steckte das Telefon aus, schaltete das Handy ab und ging Zähne putzen. Merkte währenddessen, dass sie vor sich hin summte, und wusste im ersten Augenblick nicht, woher die düstere Melodie kam. Dann fiel es ihr ein: Es war das
Stabat Mater
.
«Herr Papenberg? Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie störe, aber wir bräuchten Ihre Hilfe.» Beatrice bemühte sich, in ihre Stimme die richtige Mischung aus Mitgefühl und Sachlichkeit zu legen. «Könnten Sie uns eine Schriftprobe Ihrer Frau zur Verfügung stellen? Einen Brief, ein Tagebuch – etwas in dieser Art?»
«Wozu?» Der Mann klang furchtbar müde.
«Wir haben eine Notiz, die eventuell von Ihrer Frau verfasst wurde. Wir müssen die Handschriften von einem Gutachter vergleichen lassen.»
Sie konnte hören, wie er schluckte und sich um eine feste Stimme bemühte. «Eine Notiz? Kann ich die sehen?»
«Nein, leider. Gewisse Informationen können wir selbst den Angehörigen nicht zugänglich machen. Jetzt noch nicht.»
«Verstehe», sagte er matt. «Wissen Sie, was? Ich muss ein paar Dinge erledigen, dabei komme ich sowieso in Ihre Nähe, ich bringe Ihnen eine Schriftprobe vorbei.»
«Hervorragend. Vielen Dank!»
Florin war heute Morgen von Hoffmann zum Leiter der Sonderkommission Geocache ernannt worden, ein Name, der Beatrice minutenlang erheitert hatte, ohne dass sie hätte sagen können, warum. Nun kam er durch die Tür, Stefan im Schlepptau, der über beide unrasierten Wangen strahlte. «Ich bin jetzt offiziell dabei. Gebt mir Arbeit!»
«Das wird dir noch leidtun», sagte Beatrice in gespieltem Ernst und drückte ihm ihre Listen mit Chorsängern in die Hand. «Bei manchen fehlen nach wie vor die Probenzeiten. Es wäre gut, zusätzlich die Privatadressen der Sänger herauszufinden, die wir befragen müssen. Möglicherweise hat der eine oder andere Chor sogar einen Auftritt am kommenden Sonntag, dann würde ich gern mit dir gemeinsam die betreffenden Kirchen abklappern.»
Stefan salutierte übertrieben zackig und war bereits wieder auf dem Weg zurück in sein Büro.
Er ist motiviert, das ist gut, dachte Beatrice und sah auf die Uhr. Halb zehn, und sie fühlte sich, als läge der Arbeitstag schon hinter und nicht vor ihr. Sie hatte schlecht geschlafen, abwechselnd von Achim und abgeschnittenen Gliedmaßen geträumt. Hatte dann wach gelegen und war über dem Versuch, Ordnung in ihre Gedanken rund um den Mordfall zu bringen, wieder eingeschlafen.
«Die Leute von Nora Papenbergs Werbeagentur sollten wir uns möglichst bald vorknöpfen.»
Florin schob ihr ein Blatt Papier hinüber, einen Ausdruck des Impressums der Agentur-Homepage.
«Ich weiß, am besten noch heute. Sobald ich mit Konrad Papenberg gesprochen habe. Er bringt mir eine Schriftprobe vorbei, und ich will ihn dringend etwas fragen.» Sie wischte sich über die Augen, zu fest, nun klebte Wimperntusche auf ihrem Handrücken.
«Sollen wir jemand von den anderen schicken? Stefan könnte es machen, und Sibylle wäre auch …»
«Nein.» Sie hörte selbst die Härte in ihrer Stimme und versuchte, sie durch ein Lächeln abzumildern. «Ich will selbst mit den Leuten reden. Ich verliere sonst das Gefühl für den Fall. Er hat schon jetzt zu viele Ansatzpunkte. Die Leiche, die Koordinaten. Dann die Rätsel und gleichzeitig Teile einer zweiten Leiche, deren Blut sich auf den Kleidungsstücken der ersten findet. Die Dinge hängen zusammen, aber auf einer Ebene, die ich nicht sehen kann.» Sie holte tief Luft. «Noch nicht, meine ich.»
Und ich will nicht, dass jemand mir dazwischenpfuscht.
Sie sprach es nicht aus, sie wusste, dass Florin ein Anhänger der Teamarbeit und des gemeinsamen Brainstormings war. Natürlich eine gute
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