Fünf
Stefan das genannt? – Mystery-Cache, genau. Aber keines der Verstecke lag näher als fünfhundert Meter vom Fundort entfernt. Beatrice lehnte sich zurück, ohne die Karte aus den Augen zu lassen, verschob sie mit der Maus weiter nach Osten, verlor die Orientierung und vergrößerte den Maßstab so, dass sie halb Salzburg sehen konnte. «Your search exceeded 500 caches», beschwerte sich das Programm.
«Schon gut.» Sie schob sich erneut die Karte mit der Maus zurecht und zoomte näher heran. Hier ungefähr mussten die Steinklüfte sein. Sieh an, ganz nah an der Stelle, wo sie und Florin die Box mit der abgeschnittenen Hand gefunden hatten, gab es sogar einen regulären Cache.
Beatrice las sich die Beschreibung des dazugehörigen Owners durch, danach die Fundmeldungen der erfolgreichen Schatzsucher. Der Behälter war in einer Höhle unter einem Stein versteckt. Aber der schaurigste Gegenstand darin war offenbar ein schielendes Plastikschwein.
Kopfschüttelnd lehnte Beatrice sich wieder in ihrem Stuhl zurück. Was hatte sie eigentlich erwartet? Dass ihr Täter Spuren im Internet legen würde?
Nach dem Zufallsprinzip klickte sie sich durch die Profile der User, die sich auf der Seite des Steinklüfte-Cache eingetragen hatten. Die meisten hätte man anhand ihrer Angaben ausfindig machen können, viele hatten sogar ein Foto von sich online gestellt – oft mitten in der Natur stehend, lächelnd, eine schmutzige Plastikdose in der Hand. Das Bild von Nora Papenberg beim Schneemannbauen wäre darunter kein bisschen aufgefallen.
Beatrice las Einträge und Profilbeschreibungen, bis ihre Augen schmerzten. Stefan hatte bereits die letzte Nacht damit verbracht, in den Foren nach Anhaltspunkten zu suchen, nach einem auffälligen Mitglied aus der Umgebung – die reinste Sisyphusarbeit. Doch falls der Täter aus der Geocacher-Gemeinde kam, war es nicht ausgeschlossen, dass er sich durch ein Posting verraten würde. Zumindest durfte man diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen.
Beatrice verschob die Karte auf dem Bildschirm ein weiteres Mal, klickte auf das nächstbeste blaue Fragezeichen, das sich finden ließ, und fand ein Sudoku, dessen Lösung zu den richtigen Koordinaten führen sollte. War das die übliche Art Rätsel? Ein weiteres blaues Fragezeichen offenbarte lediglich eine Unmenge aneinandergereihter Zahlen, in denen sie kein System erkennen konnte. Mystery.
Sie unterdrückte ein Gähnen. «Ziemlich vertrackt, Elvira.» Die Plüscheule starrte aus gelben Glasaugen ins Nichts.
Beatrice suchte weiter und stieß auf ein Online-Lexikon, das sich ausschließlich mit Geocaching auseinandersetzte. Einer der ersten dort befindlichen Links führte sie zu einer Liste der Abkürzungen. Da war auch
TFTH
gelistet, der Gruß, den der Owner so sarkastisch unter seine Nachricht gesetzt hatte. Perfekt. Hier würde sie sich noch ein wenig einlesen und dann schlafen gehen. Mit dem Gefühl, endlich Feierabend machen zu dürfen, holte Beatrice sich ein Glas Wein und schob ihren Notizblock von sich. Offenbarungen würden sich heute nicht mehr einstellen, auch keine Geistesblitze, die dann Gefahr liefen, vom Wein in die Tiefen dunkelroten Vergessens gespült zu werden.
Sie nahm einen kleinen Schluck aus ihrem Glas. Die Abkürzung BYOP bedeutete «Bring your own pen» und fand sich vor allem bei Caches, die zu klein waren, um Schreibwerkzeug beherbergen zu können. Unter dem Kürzel HCC verstand man «Hard Core Caching», JAFT stand für «Just another fucking tree» und beschrieb einen
Baumcache mit Seiltechnik
, was immer das heißen mochte. Beatrice kniff die Augen zusammen, um die leichten Kopfschmerzen zu vertreiben, die sich eben einstellen wollten. Sie würde sich tiefer, viel tiefer noch in die Materie einarbeiten müssen.
Fünf nach halb elf. Sie gähnte wieder und ertappte sich bei dem Wunsch, Elvira mit ins Bett zu nehmen, das Gesicht an ihren Plüschkörper zu schmiegen und … tja, und was?
Der schrille Ton des Telefons war wie ein plötzlicher Schlag vor die Brust. Beatrice fuhr von ihrem Stuhl hoch, rannte quer durchs Wohnzimmer und riss den Hörer fast aus der Ladestation. Waren die Kinder aufgewacht? Hoffentlich nicht. Wenn es so spät klingelte, war etwas passiert. Eine weitere Leiche, ein weiterer Körperteil …
Sie rechnete mit allem, nur nicht mit einem von Achims nächtlichen Terroranschlägen.
Dieser miese Arsch.
«Großartig, dass man dich auch mal erreicht.» Seine Stimme troff vor Verachtung.
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