Fünf
«Hier. Wollen wir heute noch hinfahren?»
«Klar!» Stefan war aufgesprungen, doch Florin hielt ihn zurück.
«Ich will, dass Drasche dabei ist. Wir fahren morgen früh. Aber ich möchte gern sehen, wo wir landen werden.» Er gab die neuen Koordinaten bei Google Maps ein. Die Karte war binnen Sekundenbruchteilen auf dem Monitor zu sehen, und Florin lachte kurz und, wie es Beatrice schien, gequält auf. «Wir haben Mist gebaut.»
Sie zoomten den Ausschnitt näher heran. «Die Anzeige ist nie völlig exakt», meinte Stefan. «Es wird ein paar Meter rechts oder links davon liegen.»
Es war sehr zu hoffen, dass er recht behielt. Denn der Pfeil, der die eben errechneten Koordinaten anzeigte, wies direkt auf die Autobahn.
Beatrice war gerade noch rechtzeitig zu Hause, um zu lüften und alles für Schinken-Käse-Omeletts vorzubereiten. Achim brachte die Kinder auf die Sekunde pünktlich. Sie platzten beinahe vor Neuigkeiten. Die Katze hieß jetzt Cinderella. Sie war grau und weiß und ein bisschen schwarz. Am Nachmittag hatte es Eis gegeben, zwei Portionen für jeden. Papa war lustig gewesen und hatte beim Armdrücken zwölf Mal gegen Jakob verloren.
Beatrice lächelte, lachte, nickte und unterdrückte etwas, das sie bei näherer Analyse als Wehmut identifizierte. Wäre sie tatsächlich gern dabei gewesen?
Sie schüttelte über sich selbst den Kopf, räumte das Geschirr vom Tisch und schickte die Kinder nacheinander ins Bad. Heute würde sie mit ihnen
Der kleine Hobbit
weiterlesen und noch einen entspannten Abend haben. Ihr kleines Familienleben.
«Die Feuer in der Mitte der Halle wurden mit frischen Holzklötzen neu aufgebaut, die Fackeln wurden gelöscht, und noch immer saßen sie im Licht der tanzenden Flammen», las Beatrice. Jakob, der ihrer Meinung nach noch zu klein für das Buch war und für den sie an den gewalttätigen Stellen jedes Mal etwas Harmloses improvisierte, fixierte mit glänzenden Augen das Buzz-Lightyear-Poster an der Wand. Minas Blick dagegen hing an ihr, sie lächelte und schien zum ersten Mal seit Wochen mit sich und der Welt im Reinen zu sein.
«Die Säulen der Halle standen hoch aufgerichtet hinter ihnen, ihr oberer Teil in Dunkelheit gehüllt wie die Bäume des Waldes –»
I’ll send an
SMS
to the world
I’ll send an
SMS
to the world
I hope that someone gets my
I hope that someone gets my
I hope that someone gets my
Message in a bottle.
Beatrice merkte erst, dass sie zu lesen aufgehört und das Buch hatte sinken lassen, als Jakob an ihr rüttelte. «Mama! Lies weiter!»
Sie suchte die Stelle, begann von neuem, verhaspelte sich.
Ruhig bleiben. Die Nachricht würde ihr nicht davonlaufen, und vielleicht war sie … von Florin. Oder von Achim, der noch ein paar Gemeinheiten loswerden wollte. Sie würde es früh genug erfahren. Jetzt waren die Kinder dran.
«Ob es nun Zauberei war oder nicht – Bilbo schien es, als ob er ein Geräusch hörte wie Wind in den Zweigen, der am Gebälk rüttelte, und wie das Schreien der Eulen. Bald sank ihm der Kopf vor Schläfrigkeit vornüber, und die Stimmen versanken in weiter Ferne –»
«Mama! Du liest gar nicht mehr so schön!»
«Entschuldige bitte.» Sie nahm sich zusammen, konzentrierte sich auf die Geschichte. Ließ sich schließlich selbst so sehr davon forttragen, dass sie erst wieder aufsah, als die Kinder schon fest schliefen.
To be disabled.
Nur diese drei Worte und natürlich die gleiche Nummer. Beatrice starrte auf ihr Handy, bis die Energiesparfunktion das Display dunkel werden ließ.
Disabled bedeutete so etwas wie ausgeschaltet, deaktiviert. To be disabled – demnächst ausgeschaltet? Abgedreht? Wenn sie nicht ganz falschlag, konnte man es aber auch im Sinn von «behindert» benutzen.
Spielte die Nachricht auf das erste, das verstümmelte Opfer an? Kündigte der Owner an, wieder jemandem Gliedmaßen absägen zu wollen?
Sie setzte sich auf die Couch und fühlte ihren Puls im Hals schlagen, bis hinauf zu den Schläfen. So schnell würde sie nicht einschlafen können. Zum dritten Mal vergewisserte sie sich, dass die Tür versperrt war, holte sich ein Glas Wasser aus der Küche und fuhr den Computer hoch. Sie hatte ihre Unterlagen im Büro gelassen, darunter auch alles, was Stefan für sie recherchiert hatte, doch die Liste, an die sie dachte, würde sie bestimmt online finden.
Geocachen disabled
gab sie in Google ein, und eine Reihe von Links erschien. Sie las die ersten beiden und kam zu dem Schluss,
Weitere Kostenlose Bücher