Fünf
Weise mit seinen grünen Augen.
«So persönlich hat er Sie noch nie angesprochen, Beatrice. Er ermutigt Sie, reagiert auf Ihr Zitat und lädt Sie zu sich ein. Das alles geht weit über reine Informationsübermittlung hinaus.»
«Ich glaube nur nicht, dass ich ihm Sigart abschwatzen kann, egal, was ich schreibe, und das ist eigentlich –» Sie sah Stefan und Kossar einen schnellen Blick wechseln. «Verstehe. Ihr denkt, dass er sowieso schon tot ist.» Die Erinnerung an die Nacht im April vor zwölf Jahren boxte sich ihren Weg frei. Evelyns Gesicht tauchte darin auf, erst lebendig, dann tot. Sie schob das Bild weg, zwang sich, an Sigart zu denken, seine blasse, jeglicher Hoffnung beraubte Miene. Sie räusperte sich. «Ich wiederhole das so oft wie nötig: Bis wir seine Leiche nicht gefunden haben, werde ich Sigart nicht aufgeben.»
«Ich schließe mich an», hörte sie Florin sagen, der eben das Zimmer betrat. «Wenn er gestern gelebt hat, sind die Chancen, dass er es heute immer noch tut, nicht schlecht.»
Nur dass sie nicht die leiseste Idee hatten, wo sie nach ihm suchen sollten. Eine weitere Befragung der Anwohner hatte nichts ergeben – wie war das möglich? Hatte der Lärm wirklich niemanden aufgeschreckt, hatte keiner wenigstens durch den Türspion nach draußen gesehen?
«Wir haben den Kampf gehört und wissen von zumindest einem Zeugen im Haus, dass er ihn auch gehört, wenn auch falsch interpretiert hat.» Florin hatte den Kopf auf eine Hand gestützt, mit der anderen zeichnete er auf einen karierten Schreibblock schlangenförmige Linien, die in verkrümmten Fingern endeten. «Okay, Sigart wohnt im ersten Stock, der Weg in den Keller ist nicht weit, aber der Owner muss extrem schnell gewesen sein.»
Mit den Augen verfolgte Beatrice seine verschlungenen Linien und spann seine Gedanken fort. «Er packt ihn an den Armen und schleppt ihn über die Treppe nach unten. Der blutige Schuhabdruck», sie zog den Ausdruck des entsprechenden Fotos hervor, «zeigt nach oben. Also ist der Owner die Treppe entweder verkehrt hinuntergegangen, oder er musste noch einmal hinauf.»
«Verkehrt», mutmaßte Florin. «Er zerrt den liegenden Sigart hinter sich her.»
Das Telefon schrillte. Beas Kontaktmann in der technischen Abteilung des Handyproviders berichtete, dass die SMS von heute Morgen in der Nähe von Golling abgeschickt worden war.
«Es war noch nicht einmal sechs Uhr.» Mit dem Kugelschreiber klopfte Beatrice einen hektischen Takt auf ihren Schreibblock. «Irgendwann muss der Owner doch auch schlafen, er bewältigt ein riesiges Pensum. Wenn er übermüdet ist, macht er Fehler, das wird er nicht riskieren wollen, also ist es wahrscheinlich, dass er in der Nähe von Golling wohnt. Oder dort zumindest sein derzeitiges Quartier aufgeschlagen hat.»
«Außer», warf Stefan ein, «er ist nicht allein. Ihr denkt ja auch, dass Nora Papenberg seine Komplizin war. Kann doch sein, dass es weitere Mittäter gibt.»
Diesen Ansatz hatten sie mehrfach diskutiert, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Kossar widersprach der Theorie jedes Mal und auch heute wieder. «Jemand, der nicht eitel ist, hat keine Rätselspielchen nötig. Der Owner will zeigen, dass er besser ist als wir, aber sein Sieg ist nur dann zur Gänze befriedigend, wenn er ihn sich, und nur sich selbst, auf die Fahnen schreiben kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nach einem Einzeltäter suchen.»
«Und wie erklären wir uns dann Nora Papenbergs Rolle?»
Kossar brauchte nur wenige Sekunden für eine Antwort. «Möglich, dass er zu Anfang Hilfe gebraucht hat. Aber sobald sein Plan lief, hat er sich …»
Klopfen an der Tür unterbrach seinen Redefluss. Eine der Schreibkräfte kam herein – Jutta, Jette, Jasmin? Beatrice verfluchte ihr erbärmliches Namensgedächtnis – und brachte Blumen, einen in Papier gewickelten Strauß, dessen Duft sich mit dem des Kaffees vermischte.
«Ist für Sie abgegeben worden, Frau Kaspary.» Sie zwinkerte ihr zu, legte die Blumen auf den Schreibtisch und ging.
«Moment!», rief Beatrice der Sekretärin nach, aber die Frau hatte die Tür bereits hinter sich zugezogen. Kossar grinste, als käme der Strauß von ihm persönlich.
«Zeigen Sie doch mal!»
Langsam löste Beatrice die Klebebänder vom Papier. Kurz streifte sie der Gedanke, dass Florin der Absender sein könnte. Aber warum sollte er mir Blumen schenken?, dachte sie. Er hatte den für ihn typischen kritischen Blick aufgesetzt und wirkte
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