Fünf
irritiert.
Sie beförderte das erste Stück Klebeband in den Papierkorb, gestand sich ein, dass sie mit der Fummelei nur Zeit gewinnen wollte, und zerriss die Verpackung.
Weiße Calla und violette Lilien. Drei Fichtenzweige. Schleierkraut. Zusammengebunden mit einer weiß-goldenen Schleife.
Ihr Körper reagierte schneller als ihr Kopf. Sie sprang auf, stürzte aus dem Büro und erreichte die Toilette im letzten Moment. Sie erbrach ihr Frühstück und den eben erst getrunkenen Kaffee, würgte noch, als ihr Magen bereits nichts mehr hergab. Doch nicht einmal der Geruch des Erbrochenen war imstande, den Duft der Blumen zu übertünchen, der unbarmherzig in ihrer Nase haftete.
Sie richtete sich auf, wartete, bis die schwarzen Punkte in ihrem Sichtfeld verschwanden, und spülte. Zu Schreck und Ekel gesellte sich nun auch Scham. Beim Anblick von ein paar Blumen so auszuflippen zeugte nicht gerade von Professionalität, wie sollte sie das den anderen erklären?
Einige Schlucke Wasser vertrieben den üblen Geschmack aus ihrem Mund. Sie öffnete die Tür zum Gang, wappnete sich gegen die Fragen ihrer Kollegen – und lief direkt in Hoffmann hinein.
«Na, machen Sie Pause, Kaspary?»
Ihr erster Reflex war, einfach ohne ein Wort um ihn herumzulaufen, abzuhauen wie ein Kind, aber sie hatte sich heute schon genug Blößen gegeben.
«Wieso fragen Sie? Sie sehen doch genau, wo ich herkomme.» Es kam leise und gepresst heraus, das dumpfe Gefühl in ihrem Magen war zurückgekehrt.
Hoffmann ging einen Schritt näher und schnüffelte in die Luft. «Sagen Sie mal, haben Sie gekotzt?»
Es kostete Beatrice ihre ganze Beherrschung, stehen zu bleiben und den Blick nicht von ihm abzuwenden. «Allerdings.»
«Sind Sie etwa schwanger? Du liebe Güte, das auch noch.»
Ihr Lachen ließ sich nicht zurückhalten. «Nein, ganz bestimmt nicht.»
Er musterte sie von oben bis unten. «Ach so. Das macht die Sache zwar nicht unbedingt besser, aber –»
«Wie Sie meinen», unterbrach ihn Beatrice. «Es spielt auch keine Rolle für Sie, denke ich. Es geht mir jedenfalls wieder gut, vielen Dank.» Ohne seine Entgegnung abzuwarten, ließ sie ihn stehen.
Kossar und Stefan waren immer noch da, als sie das Büro betrat, Florin sowieso. «Wieder okay?» Er stand auf und kam ihr entgegen. «Blass bist du. Wenn du dich krank fühlst, gehst du besser nach Hause, okay? Niemand hat etwas davon, wenn du zusammenklappst, Bea.»
Der Blumenstrauß lag immer noch auf ihrem Schreibtisch. Irgendjemand hatte ihn gänzlich vom Papier befreit.
«Ich bin nicht krank, entschuldigt bitte, dass ich so extrem reagiert habe, es sind nur … diese Blumen.»
«Das habe ich mir schon gedacht.» Florin hielt einen Briefumschlag hoch, weiß mit schwarzem Rand, wie bei einer Traueranzeige. «Soll ich ihn für dich öffnen?»
Sie schüttelte den Kopf und schluckte an der Magensäure, die erneut ihre Kehle hochstieg. Eine Todesnachricht, was sollte es sonst sein. Sigart war tot, und der Owner hatte seine eigene, unvergleichliche Art gefunden, es ihr mitzuteilen. Sie setzte sich, schob den Blumenstrauß weit von sich fort, wappnete sich innerlich für den Anblick furchtbarer Bilder und öffnete das Kuvert.
Eine weiße Karte, schmucklos. Beatrice las, versuchte zu verstehen, scheiterte.
Alles, was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch.
N
47
°
26
.
195
; E
013
°
12
.
523
Ihr wisst alles und findet nichts.
Wortlos reichte Beatrice die Karte an Florin weiter.
«Wir haben schon mit dem Blumenversand telefoniert, als du – als du draußen warst», erklärte Stefan. «Sie sagen, der Auftrag kam von einer jungen Frau, die sehr schlecht Deutsch gesprochen hat.»
«Wir brauchen eine genaue Beschreibung.» Sie blickte angestrengt an den Blumen vorbei. «Stefan, könntest du –»
«Hinfahren? Klar.» Auf dem Weg zur Tür schwenkte er sein Handy. «Ihr haltet mich auf dem Laufenden und ich euch.»
Beatrice heftete ihren Blick auf die Karte. Neue Koordinaten. War das Stage 4 ? Ein wenig Hilfestellung vom Owner, damit sein Spiel nicht ins Stocken geriet?
Florin schob ihr ein Glas Wasser hinüber. «Geht es dir wieder gut?», fragte er.
«Weiße Calla und violette Nelken», sagte sie leise, «waren die Blumen auf dem Trauerkranz, den ich vor zwölf Jahren für das Grab meiner ermordeten Freundin gekauft habe. Auf Evelyn spielt der Owner immer wieder an.» Sie strich sich das verschwitzte Haar aus der Stirn. «Sogar die Farbe der Schleife
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