Für alle Fragen offen
erworben hat.
Ich habe gerade das vielgelobte Buch Masse und Macht von Elias Canetti gelesen und fand darin nur Wortgeklingel und banale Phrasen. Ist das Buch überschätzt?
Wie immer Elias Canettis Bücher zu beurteilen sind – es spricht für seine Bewunderer und Verehrer, dass sie sich keinen leichteren und bequemeren Schriftsteller ausgesucht haben. Und was immer ihm vorgeworfen werden muss, an Format fehlt es seinen Versuchen am wenigsten.
Als Canettis Roman Die Blendung zum ersten Mal erschienen war – 1935 in Wien -, sprach Thomas Mann von einer »gewissen erbitterten Großartigkeit seines Wurfes«. In der Tat: Was Canetti angestrebt oder zumindest skizziert hat, ist von »erbitterter Großartigkeit«. Nur kann er ihr kaum gerecht werden. Es sind Versprechen, auf deren Einlösung man vergeblich warten muss, es sind Schecks, die sich in keiner Valuta decken lassen.
Das trifft ebenso auf seine Dramen zu, denen nahezu genialische Einfälle zugrunde liegen und die dennoch letztlich enttäuschen, wie auch auf den Roman Die Blendung . Dieses monströse epische Unternehmen ist ein
Gleichnis vom Intellektuellen in unserem Jahrhundert. Aber so grandios die Konzeption, so dubios ist ihre Realisation. Es ist ein auf höchster Ebene missratener Roman.
Ähnlich verwegen ist Canettis Buch Masse und Macht , eine weit ausholende kultursoziologische und geschichtsphilosophische Studie. Es ist ein herausforderndes und zumindest streckenweise fesselndes Werk. Allerdings: Die im Titel angedeutete Frage wird auf über fünfhundert Seiten abgehandelt, doch ohne die Namen Karl Marx und Sigmund Freud zu erwähnen oder sie wenigstens im langen Literaturverzeichnis anzuführen.
Während aber in der Blendung der Philosoph und Wissenschaftler gelegentlich den Romancier verdrängt, kommt in Masse und Macht überraschend auch der Erzähler zu Wort. Und während große Teile der Blendung an des Gedankens Blässe leiden und von Sterilität bedroht sind, macht Canettis künstlerisches Temperament in der gewichtigen Studie über Masse und Macht auch jene Partien reizvoll und attraktiv, die zu entschiedenem Widerspruch nötigen.
Diese beiden Hauptwerke hinterlassen also einen unbeabsichtigt quälenden und höchst
zwiespältigen Eindruck. Zu dem Respekt vor Canettis Geist und Talent, seiner Energie und seiner Konsequenz gesellt sich immer auch der Verdacht, dass er das augenscheinliche und so störende Missverhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis wohl hätte überwinden können, wenn er nur bereit gewesen wäre, auf seine kolossalen und waghalsigen schriftstellerischen Kraftakte zu verzichten.
Es wird immer wieder behauptet, die Bücher der israelischen Autorin Zeruya Shalev seien typische Frauenliteratur. Was zeichnet diese Romane aus?
Es zeichnet sie aus: erstens Intelligenz, zweitens Qualität. Ob es sich um Frauenliteratur handelt, weiß ich nicht. Denn was ist denn Frauenliteratur? Literatur von Frauen, für Frauen, über Frauen? Unter uns: Ich weiß es nicht, und ich möchte es nicht wissen.
Hingegen weiß ich sehr wohl, dass sich Ricarda Huch, Anna Seghers oder Ingeborg Bachmann von ihrem jeweiligen Gesprächspartner, wenn er ihre Bücher für Frauenliteratur hielt, rasch abwandten. Einen Interviewer soll die zarte Bachmann bei dieser Gelegenheit sogar kräftig geohrfeigt haben. Ich glaube es nicht, aber wenn, dann hatte er es verdient.
Was ist Ihre Meinung zu Gustav Freytags Soll und Haben? Viele behaupten, Freytag lasse in dem Breslauer Kaufmannsroman – latent oder offen – antisemitische Gedankengänge erkennen. Für mich – ich bin in Breslau geboren – stand eher das allgemeine Geschehen in meiner Heimatstadt im Mittelpunkt des Interesses.
Jawohl, Gustav Freytag war ein Autor mit starken antisemitischen Tendenzen und keineswegs nur latenten. So gibt es in seinem einst populären und heute längst vergessenen Lustspiel Die Journalisten die abstoßende Figur eines opportunistischen jüdischen Journalisten namens Schmock. In dem außerordentlich erfolgreichen Roman Soll und Haben spielt der widerliche Jude Veitel Itzig, übrigens ein Mörder, eine wichtige Rolle.
Theodor Fontane hat die unzweifelhaft judenfeindliche Tendenz des Romans Soll und Haben negativ vermerkt und gefragt: »Wohin soll das führen?« Er konnte es nicht wissen, wohin das geführt hat, aber wir wissen es sehr genau.
Andererseits sollte man nicht übersehen, dass Freytag später von seinem Antisemitismus
abgerückt ist. Auf Richard Wagners
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