Fuer den Rest des Lebens
dunkle Köpfe, Haartollen und kahl werdende Köpfe, eine Mischung aus Professoren und Studenten. Von weitem erkennt er den orangeroten Kopf der Nachbarin und neben ihr hüpft der orangerote Kopf der Witwe, vermutlich haben sie dieselbe Frisörin, die nur eine einzige Farbe anzubieten hat, eine unnatürlich aussehende Kürbisfarbe, aber die glatten, schwarzen Haare, an die er sich so gut erinnert, entdeckt er dort nicht, obwohl er die Blicke von einer Frau zur anderen wandern lässt, und weil er weiß, dass Frauenhaare etwas Unbeständiges sind, man kann sich nicht auf sie verlassen, innerhalb eines Tages können Farbe und Frisur wechseln, hält er auch Ausschau nach dem blassen Profil, merkt sich einige der Frauen und wartet, bis sie das Gesicht zur Seite wenden, aber keine ist die richtige, weder diese noch jene, und ein anderer ist überhaupt ein Mann, und er senkt den Kopf und schließt die müden Augen, die Stimme der Rednerin dringt nur dumpf an sein Ohr, wenn ihr den Himmel betrachtet, werdet ihr immer nur sehen, was einmal war, die Sterne der Vergangenheit, behauptet sie traurig, denn uns trennen Lichtjahre.
Er seufzt, sie ist nicht hier, sie wagt es nicht, sich hier zu zeigen, nie wird er sie wiedersehen, die Feier war seine letzte Hoffnung gewesen, nachdem seine Hoffnungen, sie am frischen Grab zu treffen, enttäuscht worden sind, wieder und wieder ist er zum Friedhof geschlichen, hat aus der Ferne auf sie gelauert, hat sich, als wäre er ein Trauernder, vor das Grab einer jungen Frau gestellt, mit einem Grabstein, rosafarben wie ein Puppenkleid und auf dem eingraviert stand: Ruhe sanft, meine wunderschöne Braut.
Ruhe sanft, meine wunderschöne Braut, hat er leise gesagt, aber sie ist nicht aufgetaucht, hat sich nicht mit dem Papiertaschentuch, das er ihr gegeben hatte, über die Augen gewischt, so wie sie auch hier nicht ist, so wie sie nirgendwo sein wird, denn ihm wird klar, dass alles vergeblich ist, alle Schlauheit, aller Einfallsreichtum, alle Verstellung und jede Grenzüberschreitung, er öffnet die Augen und betrachtet seine Schuhspitzen, massiert sich den Nacken, was bedeutet diese Trauer um einen völlig fremden Mann, die in dir aufsteigt, was bedeutet dein Verlangen, eine völlig fremde Frau zu treffen, was möchtest du von ihr hören, was möchtest du sagen, er war so gefangen von seinen Aktionen, dass er sich nicht um die Bedeutung gekümmert hat.
Erinnert sich das Universum an seinen Schöpfer?, fragt die Rednerin mit ihrer leisen Stimme, die im Gegensatz zu der Dimension der Frage steht, wir suchen die Spuren der Schöpfung, und die Ausstrahlung, die von der Schöpfung ausgeht, wird immer kälter, aber wenn es sie gegeben hat, muss eine Erinnerung geblieben sein, und er hebt den Kopf und betrachtet zum ersten Mal die kleine Gestalt auf der Bühne, ein unförmiges Rednerpult verdeckt ihren Körper, nur ihr Hals und ihr Kopf schauen darüber heraus, und er stößt einen entsetzten Schrei aus, als er plötzlich erkennt, dass sie es ist, sie selbst, sie steht offen und sichtbar auf der beleuchteten Bühne, für alle Anwesenden erkennbar, wie typisch für ihn, sie in der Dunkelheit zu suchen, im Verborgenen, während das Objekt seiner Begierde ganz ohne Geheimnis und ohne Trennwand vor ihm steht. Ganz allein steht sie auf der Bühne, hinter ihr hängt ein großes Foto des Verstorbenen, sie wird fast von seinem breiten Lächeln verschluckt, und vor ihr, in der ersten Reihe, sitzen die Frau und die Kinder des Verstorbenen, und in der letzten Reihe sitzt er und möchte sie trösten, und sie ist so weit weg, dass er es nicht kann. Ihre Schönheit ist kaum zu bemerken, ihr Gesicht ist ziemlich abgemagert, überhaupt nicht so blass wie in seiner Erinnerung, und ihre Stimme, die er eigentlich nie gehört hat, ist traurig und müde, doch er bleibt aufrecht sitzen, als sie behauptet, das Strahlen des Himmels beweise, dass es einen Punkt des Anfangs gegeben habe, vor dem Ort und vor der Zeit, und das sei die Erinnerung des Universums, das sei der Beweis der Schöpfung, auch wenn sie immer kälter werde, könne man ihre Kraft zurückrechnen nach dem, was wir heute sähen, nach der Häufigkeit der Elemente im Universum.
Trotz seiner aufgewühlten Stimmung zwingt er sich, zuzuhören, offenbar ist sie schon am Schluss ihrer Rede angekommen, gleich wird sie die Bühne verlassen und ein anderer wird ans Pult treten und seine Rede halten, ihm kommt es vor, als spreche sie mit einem kurzen Lächeln zu ihm,
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