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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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im Institut hatten, aber letztlich entstand auch da keine Nähe über den jeweiligen Anlass hinaus, und nun, da er das Lächeln des Toten beantwortet, würde er gern zu ihm sagen, mach dir keine Sorgen, Freund, du hast dich nicht geirrt, als du am letzten Morgen deines Lebens dein Geheimnis in meine Hände gelegt hast, ich werde mich um sie kümmern, ich weiß, dass es das ist, worum du mich gebeten hättest, wenn es möglich gewesen wäre. Tränen steigen ihm in die Augen, als er lautlos diesen Treueschwur leistet, aber als er den Blick zu ihr hebt, um auch sie in das nun entstehende Bündnis einzuschließen, zuckt er zusammen, denn in diesem Moment lehnt sie sich an den Mann neben ihr und flüstert ihm etwas ins Ohr, und er begreift traurig, dass das alles hier noch nichts bedeutet, möglicherweise muss er schon bald feststellen, dass Dr. Talia Franko in Begleitung eines Partners hierhergekommen ist und ihn und seinen Trost und das lächerliche Bündnis, das er hinter ihrem Rücken mit Fremden und Toten und, was noch schlimmer ist, mit toten Fremden knüpft, überhaupt nicht braucht.
    Deshalb bleibt er sitzen, als sich nach der dritten und letzten Rede alle erheben, und auch als er endlich auf den Beinen steht, verharrt er wie erstarrt auf der Stelle und beobachtet sie. Um die trauernden Hinterbliebenen bildet sich ein enger Kreis, zu dem sie ebenfalls gehört, und auch der Mann, der neben ihr saß, ein rundlicher, hellhaariger Mann, doch trotz aller Anstrengung kann er nicht unterscheiden, ob ihre Gesten kameradschaftlich sind oder die eines zusammengehörenden Paares, und erwartet darauf, dass die Menschentraube sich in kleinere, leichter identifizierbare Gruppen auflöst, drei oder zwei Personen, oder einzelne, wer bringt wen nach Hause, wer fährt zum Haus der Familie, wer schüttelt die Trauer und die Erinnerung an den Verstorbenen und die Last des Todes selbst von sich ab und wer trägt schwer an der Last, und als er als Einziger in seiner Reihe zurückbleibt, bewegt er sich langsam vorwärts, bemüht, keine Aufmerksamkeit zu erregen und sie trotzdem auch nicht einen Moment lang aus den Augen zu lassen. Sie trägt eine dunkelblaue, durchgeknöpfte Bluse ohne Ärmel, und als er näher kommt, erkennt er weiße Pünktchen auf dem dünnen Stoff, eine blaue, maßgeschneiderte Hose und eine kleine Ledertasche unter ihrem Arm, aber er wagt nicht, noch näher zu treten, und erst als sie sich aus dem Kreis löst, erlaubt er sich, einen Schritt nach vorne zu machen. Zu seiner Erleichterung ist der Mann, der neben ihr saß, in Begleitung einer anderen Frau, ebenso rundlich und hellhaarig wie er, vorläufig kann er weiter hoffen, dass nicht sie es ist, die zu dem Mann gehört, er folgt den dreien Richtung Parkplatz, wo auch sein Auto steht, aber er geht weiter, an ihm vorbei, versucht vergeblich, von ihrem Gespräch etwas aufzufangen, bis in einem wunderbaren Moment sein Wunsch wahr wird und er sieht, wie sie sich an einem Auto verabschieden, die Tür geht auf und der Mann und die Frau werden verschluckt, und sie bleibt allein auf dem Parkplatz zurück, so allein, wie sie auf der Bühne gestanden hat, und sie geht auf ihr Auto zu, mit geradem Rücken, ihre Absätze lassen das Klappern einer spitzen Einsamkeit hören, und sein Herz fliegt ihr zu, sodass er unwillkürlich anfängt, in ihre Richtung zu rennen, ignoriert, wie lächerlich sein Bauch hüpft und wie rot sein Gesicht wird, sie bemerkt nicht den Lärm, den er macht, und erst, als er neben ihr stehen bleibt und sein schweres Atmen zu hören ist, hält sie inne und dreht ihm das Gesicht zu, so fragend und düster, dass es ihm nicht gelingt, die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen, während er ihr seine von der heißen Luft aufgequollenen Silben entgegenbläst. Talia, sagt er und spricht zum ersten Mal ihren Namen aus, ein nicht besonders ausgefallener Name, trotzdem ist er ihm, wie ihm scheint, noch nie über die Lippen gekommen, mir hat Ihre Rede sehr gut gefallen, verkündet er, obwohl ich nicht viel verstanden habe, und sie antwortet höflich, vielen Dank, und will schon weitergehen, er muss sie zurückhalten und versucht es wieder, ich wollte Ihnen noch etwas sagen, sagt er zögernd, ich wollte Sie fragen, ob Sie sich an mich erinnern, und er denkt, wie typisch für dich, da wartest du einen Monat auf dieses Treffen und hast dir nicht einmal überlegt, wie es ablaufen könnte und was du sagen sollst.
    Ich glaube nicht, antwortet sie, betrachtet sein Gesicht

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