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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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ihrer Familie egal, sonst hätte sie sie nicht einfach zurücklassen können, mit Schuldgefühlen und verletzt. Was für eine geheime Kraft zeigt sich, wenn das Gefühl fehlt, dieses Lasso, an dem sie sich von einer Stelle zur anderen bewegt hat, ständig um diese geliebten Menschen herum, um sie daran zu erinnern, dass sie ein Zuhause haben, eine Familie, dass sie selbst dieses Zuhause ist, diese Familie, ständig zuhören, beruhigen, anziehen, waschen, Wäsche aufhängen, ins Bett bringen, wecken, sie irgendwohin fahren, und das alles, um eine solche Kränkung einstecken zu müssen, wenn sie das erste Mal daran denkt, etwas nur für sich selbst zu tun.
    Früher hat sie ihn in den Unterrichtspausen angerufen, um ihn daran zu erinnern, dem Mädchen die Rinde vom Brot zu schneiden, um zu fragen, welches Foto der Redakteur ausgewählt hat, jetzt bewegt sie sich in einer anderen Welt, diese Nebensächlichkeiten, die ihre Liebe zu ihnen ausfüllten, interessieren sie nicht mehr, sie lässt sie los, wie es jene Frau getan hat, die ungefähr in ihrem Alter gewesen sein muss, vielleicht ein bisschen älter. Was hat er eigentlich noch über sie erzählt, hat er gesagt, warum sie sich umgebracht hat? Nun, das versteht sie, sie versteht es so genau, dass sie das Gefühl hat, die andere besser gekannt zu haben als irgendjemanden auf der Welt, mit Ausnahme ihrer besten Freundin Orli, und plötzlich, so schnell, wie helles Mittagslicht hereinfällt, wenn ein Rollladen hochgezogen wird, sieht sie es vor sich, sie muss es gewesen sein, Orli, denn wer außer ihr könnte fähig sein, seine Nächsten so viele Jahre lang irrezuführen, sich für sie aufzuopfern und sie dann, in einem einzigen Moment, zu betrügen, und auf einmal ist ihr klar, wie es passiert ist, sie hat sich nicht aufgehängt, sie ist in eine Wolke gesprungen und hat sich an ihr festgeklammert.
    Sie erinnert sich, wie sie beide an einem Winterabend dicht nebeneinander auf dem Dach eines Universitätsgebäudes standen, an das Geländer gelehnt, der Wind zerzauste ihre Haare, bis sie sich ineinander verflochten, und Orli strich über die verknoteten Haare und sagte, wenn ich jetzt springen würde, würde ich dich mitnehmen, und Dina lachte überrascht, sie liebte sie so sehr in solchen Momenten, dass ihr sogar dieser Gedanke angenehm war, die zähe Luft würde ihre Körper wiegen wie auf einer riesigen Schaukel und sie würden langsam tiefer sinken, mit ineinander verflochtenen Haaren, und wenn sie aufschlügen, würden sie den Schmerz nicht mehr spüren, denn genau in diesem Moment würden ihre Seelen aus den Körpern entfliehen, einander aber nicht loslassen, sie wären, wie ihre Haare, bis in alle Ewigkeit ineinander verflochten, und deshalb würden sie kein Leid mehr erfahren, deshalb würde sie sie furchtlos anlächeln und den Wind auf ihren Lippen spüren. Warum hat sie sich ausgerechnet immer bei Menschen beschützt gefühlt, die besonders verzweifelt waren, und wie schmerzhaft ist der Riss gewesen, an dem Abend, als sie für immer aus ihrem Leben verschwand und eine Lücke hinterließ, die sich mit Zorn und Schuldgefühlen füllte, mit Trauer und Verlust, und ohne Nizan, die damals auf die Welt kam, hätte sie sich vielleicht nie erholt, nun ist sie endlich zu ihr zurückgekommen, in dem Moment, in dem Nizan ihren Griff lockert, und Orli lockt und droht, ich werde dich mitnehmen, und Dina wischt sich mit dem Überzug den Schweiß von der Stirn, nimm mich mit, und plötzlich erinnert sie sich daran, wie Nizan es liebte, im Garten hinter dem Haus in diesen Überzug zu kriechen und sich von ihr über den Rasen ziehen zu lassen, sie meint, das Lachen des Mädchens zu hören, gedämpft vom Stoff um sie herum. Die Ampel ist rot!, hatte sie gerufen, und dann musste sie stehen bleiben, die Ampel ist grün, links, rechts, hatte Nizan sie jubelnd dirigiert, und Dina hatte die grüne Luft tief eingeatmet und geglaubt, nie im Leben so glücklich gewesen zu sein als in diesen Stunden, in denen sie den Rasen pflügte, hin und her, wie eine Mauleselin, die nur das sieht, was genau vor ihr liegt, und auch wenn ihre Finger steif wurden vom Halten und ihr der Rücken wehtat, hörte sie nicht auf, um das Lachen ihrer Tochter nicht verstummen zu lassen, und jetzt fragt sie sich, ob tief in dem Stoff noch Momente jenes einfachen Glücks verwoben sind, Reste der jauchzenden Stimme. Es ist so wenig, was wir brauchen, hat sie damals, wie sie sich jetzt erinnert, stolz gedacht, aber

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