Fuer den Rest des Lebens
auch dieses Wenige hatte nicht lange gedauert, ein Fest, das verging, und sie steht auf, den Überzug wie eine Robe über die Schultern gehängt, und geht zum verglasten Balkon.
In ihrem Kontrollturm ist es schon heiß, aber ihre Finger halten vor den Schiebefenstern inne, wenn sie sie jetzt öffnet wie die Türen des Himmels, wie könnte sie dem Trieb widerstehen, diesem starken, wilden Trieb, ganz zu verschwinden, nicht mehr zu existieren, nichts mehr zu fühlen, keinen Kummer, keinen Verlust, keinen Zorn auf Nizan, und vor allem nicht auf sich selbst, darüber, dass sie es wagt zu trauern, da doch alles in Ordnung ist, nichts ist passiert, nur eine kapriziöse Laune, übertriebene Erwartungen, keine Katastrophe ist passiert, es sei denn, sie würde auf die niedrige Steinumrandung klettern und von dort durch das Schiebefenster hinaus, eingehüllt in ihre himmelblaue Robe, die flattern würde wie Flügel eines urzeitlichen Vogels. Wie lange dauert ein Fall aus dem vierten Stock? Wenige Sekunden bis zum Aufschlag, den Nizan nicht einmal hören würde, das Lachen aus dem Fernseher würde den Aufprall ihres Körpers auf dem Gehsteig übertönen.
Die Verlockung ist so stark, dass sie in dem heißen Raum anfängt zu zittern, es ist wie Heißhunger, wie das Erbrechen nach der Völlerei, sie würde sich selbst durch das Fenster erbrechen, das würde ihre Jugend beenden, ihr ganzes Leben. Nur Nizans Geburt hat ihr eine kurze Erholungspause von der Einsamkeit gegönnt, fünfzehn Jahre, die wie im Flug vergangen sind, ein Drittel ihres bisherigen Lebens, das ihr wegen guter Führung abgezogen wurde, aber was für eine Erholungspause erwartet sie in Zukunft? Und sie drückt die Stirn an die Scheibe, von fern dringt dumpf das Echo des Lachens an ihre Ohren, das verhasste Geräusch einer Welt, auf der es keinen Platz und keinen Trost mehr für sie gibt, und sie weiß, dass Orli sich genau so gefühlt haben muss, bevor sie es getan hat, sie war immer mutiger als sie, war ihr immer einen Schritt voraus. Er hatte recht, ihr Professor, vollkommen recht, dass er entschied, ihr den Job zu geben, sie hatte ihn wirklich eher verdient, denn sie war schneller als sie, schneller verzweifelt, das beweist die Tatsache, dass ihre Lebensflamme zuerst erlosch, schließlich hatte sie den Wettbewerb gewonnen und dann ist ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihren Weg zu gehen, sie atmet schwer, ihre Hände breiten sich auf der Scheibe aus, hinterlassen feuchte Abdrücke auf dem Glas wie segnende Grüße. Ein Zittern läuft über ihren Körper, ein verlockender, herausfordernder Kitzel, sie hält sich am Fenster fest, hätte sie Gewichte an den Füßen, würde es ihr schwerer fallen, über das Geländer zum Fenster zu klettern, das sich für sie öffnet, doch da erklingt aus ihrer Tasche auf dem Tisch plötzlich das Klingeln ihres Handys, ein Klingeln aus einer anderen Welt, sie nimmt es heraus und betrachtet neugierig die Nummer. Vielleicht spürt Gideon ihre Verzweiflung, versucht, ohne es zu wissen, sie zurückzuhalten, aber es ist nicht seine Nummer, sondern eine Nummer, die sie nicht erkennt, sie drückt auf Empfang, sie wird sich nur die Stimme anhören und nicht antworten, und als die Worte an ihr Ohr dringen, ist ihr, als wäre sie schon gestorben und die Stimme ihres Vaters rufe aus der Welt der Toten ihren Namen. Immer lag Liebe in seiner Stimme, wenn er sie ansprach, trotzdem fiel es ihr schwer, diesen Trost anzunehmen, denn es war eine intrigierende Liebe, die vor allem darauf abzielte, ihre Mutter und ihren Bruder zu frustrieren, also weicht sie auch jetzt zurück, hält das Gerät etwas vom Ohr entfernt und nimmt es sofort zurück, hi, Dini, wie geht’s?, fragt er, Schlomit hat gesagt, dass du gestern bei Mutter geschlafen hast, geht es dir gut? Noch nie ist ihr aufgefallen, wie ähnlich die Stimme ihres Bruders der ihres Vaters ist, und sie nickt dem Handy zu, ihre Lippen zittern, aber nichts ist zu hören, nein, mir geht es nicht gut.
Als er ankommt, absichtlich zu spät, um keine Möglichkeit für belanglose Gespräche zu lassen, für Nachfragen, was machen Sie hier eigentlich, was haben Sie mit dem Verstorbenen zu tun, hat die Gedenkveranstaltung bereits begonnen und von einer Bühne herab kommt eine monotone Frauenstimme, er setzt sich in eine der letzten Reihen in dem voll besetzten Saal, betrachtet sorgfältig das Publikum. Schulter an Schulter sitzen sie schweigend da und ehren Professor Rafael Alon, helle und
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