Fuer den Rest des Lebens
und dich mit ihrer Decke zugedeckt, hast du nicht dein Gesicht in das Kissen gedrückt, das vollgesogen war mit ihrem Duft, hast du nicht zum ersten Mal seit langer Zeit eine Träne vergossen, aber nicht ihretwegen?
Verlegen wischt er sich den Schweiß von der Stirn, während der Arzt sich entfernt und schon im Gehen der Schwester hastige Anweisungen gibt. Was ist das, was passiert mir hier, er schaut sich heimlich um, fürchtet, der Ausdruck seines Gesichts, der Ton seiner Stimme, die Art seines Sitzens könne ihn verraten, dieses ganze Publikum, die Ärzte und Schwestern, die keinen Kaffee trinken und nicht spielen, die Kranken und ihre Familienmitglieder, die Techniker und die Verwaltungsmitarbeiter, das ganze Publikum könne es sehen und wissen, dass er, genau in diesem Moment, ein Sohn ist, der seine Mutter nicht liebt.
Durch den Vorhang, der nur zur Hälfte zugezogen ist, sieht er einen Mann, etwa seines Alters, der gerade hergebracht worden ist und mit geschlossenen Augen auf dem schmalen Bett liegt, schwer atmend, und eine Frau, die Avner ihren gebogenen Rücken zuwendet, in einer roten, glänzenden Satinbluse, zieht einen Stuhl heran, setzt sich neben ihn und greift nach seiner Hand. Verborgen hinter dem Vorhang beobachtet er die neuen Nachbarn seiner Mutter, denn er hat plötzlich das Gefühl, eine drohende Realität zu sehen, das Ende allen Fleisches! Es ist nicht so, als wüsste er nicht, dass auch Menschen seines Alters oder sogar noch jüngere krank werden und sogar sterben konnten, trotzdem hat er es nie mit eigenen Augen gesehen, er hat sich immer geschützt gefühlt gegen den Tod, besonders durch die Existenz seiner Mutter, und jetzt wird er von der Furcht gepackt, dass sie vielleicht in den nächsten Stunden diese Welt verlassen und ihn ohne die dünne, eingebildete Schutzschicht zurücklassen wird, die sie ihm geschenkt hat. Ein Mensch ohne Eltern ist dem Tod eher preisgegeben, denkt er, und einen Moment lang hat er Lust, zu dem neuen Nachbarn zu gehen und herauszufinden, ob er noch Eltern hat, er betrachtet das gut aussehende, gelb gewordene Gesicht, gespannt auf die Augen, die sich plötzlich öffnen und einen jungen Mann zeigen, fast noch ein Lausbub, der aussieht, als mache er einen Spaß und würde gleich aus dem Bett aufstehen und von hier verschwinden, aufrecht gehend, Arm in Arm mit der Frau.
Ist sie seine Frau? Ihre Gebärden sind heiter, ohne den Widerwillen, der sich im Lauf der Jahre zwischen einem Paar einschleicht, wie Staub auf Möbelstücken, die niemand von ihrem Platz rückt, andererseits sind sie gleich alt, was das Rätsel schwieriger macht, denn er glaubt, dass eine neue Liebe in der Mitte des Lebens normalerweise mit einem großen Altersunterschied verbunden ist, wie zum Beispiel zwischen ihm und der jungen Praktikantin, die jetzt im Büro auf ihn wartet, und als sie vor seinem inneren Auge auftaucht, seufzt er leise und wischt sich wieder den Schweiß von der Stirn. Sie hatte sich gleich mit ihrem Kosenamen vorgestellt, Anati, und ihm war ein Avni herausgerutscht, obwohl ihn außer seiner Mutter und seiner Schwester niemand so nennt, und seither kommt sein Kindername ungehindert über ihre schönen Lippen, Avni, der Mandant ist da, Avni, du wirst von der Staatsanwaltschaft gesucht, und alles ganz naiv und ohne verführerische Absicht, und das weckt eine schwere, traurige Lust in ihm, Säcke voller Lust schleppt er auf seinem Rücken wie ein müder Lastenträger, und sie bemerkt es noch nicht einmal.
Seltsam, früher hat die Lust seinen Gliedern Leichtigkeit verliehen, während sie heute sein Blut mit Blei füllt, Blutgerinnsel, die durch seinen Körper schwimmen und sein Leben bedrohen. Ist es wirklich so, dass er sich nach ihr sehnt, nach Anati, nach ihrem vollen Körper, der für sie bestimmt eine quälende Last ist, nach ihren streng zusammengebundenen Haaren, ihren wunderschönen Augen. Es ist so vorhersehbar, ein Rechtsanwalt und seine Praktikantin, und trotzdem ist es ihm noch nie passiert.
Durch den Vorhang hört er leises Flüstern, ein angenehmes Lachen, fast unbekümmert, er sieht, wie die gelbliehe Hand des Nachbarn sich auf die dunklen Haare der Frau legt, wie sie langsam darüberstreicht, und als sie den Kopf wendet, kann Avner ihre feinen Gesichtszüge erkennen und sieht, wie sie den Kopf auf die Brust des Mannes legt, ihre Finger streichen über seinen Arm, es scheint, als seien sie irrtümlich hier gelandet, in diesem Bereich des Schmerzes und der
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