Fuer dich mein Glueck
Sag mir eine Sache, nur ein einzige, vor der du Angst hast.“
„Auf einem Pferd zu reiten. Und das steht leider für heute Nachmittag noch auf dem Programm.“
„Du wirkst aber gar nicht so, als hättest du Angst“, sagte Andre.
„Nur weil man es mir nicht ansieht, heißt das nicht, dass ich keine Angst habe.“
„Du musst mir etwas Echtes sagen.“
„Okay, setz den Helm auf und lass dir das Geschirr anlegen, dann erzähle ich dir etwas Echtes.“ Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte, doch sie würde den Jungen niemals anlügen. Wie alle Kinder auch hatte Andre ein feines Gespür für die Wahrheit. Er würde nicht zögern, sie darauf hinzuweisen.
Er verhandelte noch ein wenig und verlangte für seinen Mut einen Milchshake als Belohnung.
Jungen waren so einfach. Man konnte ihre Kooperationsbereitschaft mit so kleinen Mitteln erkaufen. Erst wenn sie zu Männern heranwuchsen, wurden sie kompliziert.
Während die Crew ihr und Andre die Sicherheitsausrüstung anlegte, überlegte sie, was sie ihm erzählen sollte. Andre würde nicht eher Ruhe geben, bis sie ihm eine echte Angst offenbarte. Und davon gab es so viele, dass es beinahe lächerlich war. Sonnet hatte immer verstanden, mit ihren Ängsten umzugehen. Sie war extrem rational und konnte sich die meisten von ihnen ausreden.
Sobald Andre und sie die Sicherheitsgurte trugen, überkam Sonnet ein Hochgefühl. Der Blick von hier oben war umwerfend, und das schmale Kabel, das sich in einem eleganten Bogen zwischen den Bäumen über die Schlucht spannte, bis es unten am See ankam, zog sie magisch an. Der Morgennebel wirbelte noch auf dem Wasser und verlieh der Szenerie einen Hauch von Magie.
„Das wird super, Andre“, sagte sie. „Du wirst es mögen.“
„Okay, aber jetzt musst du mir sagen, wovor du Angst hast.“
Bei seinem Ton musste sie sich zügeln. „Andre, ich mag es nicht, von dir bedrängt zu werden.“
„Du hast gesagt, dass du es mir verrätst. Du hast es versprochen.“
„Aber …
„Versprochen.“
„Ich habe vor vielen Dingen Angst.“
„Verrat mir nur eines davon.“
„Okay.“ Die Worte kamen, bevor sie darüber nachdenken konnte. „Ich habe Angst davor, wie meine Mom aussehen wird, wenn sie dank der Chemo all ihre Haare verloren hat.“ Der Schmerz in ihrer Stimme schien im verlassenen Wald um sie herum widerzuhallen.
Einen Moment lang wurde es ganz still um sie herum, doch Sonnet war sicher, dass die Kamera weiterlief. Selbst Andre hörte auf, herumzuzappeln. So jung er auch war, er schien zu verstehen, wie persönlich und schmerzhaft ihr Geständnis war. Sonnets schwer schlagendes Herz verriet ihr, dass es nicht wirklich der drohende Haarverlust ihrer Mutter war, vor dem sie sich fürchtete. Die Haare würden nachwachsen. Wovor sie sich wirklich fürchtete, war, dass die Chemo nicht wirkte.
„Bist du jetzt zufrieden?“, fragte sie Andre und schwang sich mit ihm von der Plattform.
13. KAPITEL
In der Nacht vor der Operation ihrer Mutter kam Sonnet kaum zur Ruhe. Bei Anbruch der Dämmerung saß sie auf der breiten Fensterbank in ihrem Zimmer und blickte über das im Dunkeln liegende Grundstück des Inn am Willow Lake. Sie kämpfte mit einer Angst, die so stark war, dass ihr davon schlecht wurde. Die dünnen, im leichten Morgenwind wehenden Vorhänge rochen nach frischer Luft und Lavendel, und das Zirpen der Grillen erfüllte die Nacht.
Sonnet fühlte sich Millionen Meilen von ihrem alten Leben in der Stadt entfernt. Die Ziele, die sie einst so unnachgiebig verfolgt hatte, waren weit weg und hatten kaum noch eine Bedeutung für sie.
Bislang schien die Therapie ihrer Mutter anzuschlagen. Die Chemo, die Nina hinter sich hatte, würde die Operation erleichtern. Sie hatten sich zwei Mal mit dem Chirurgen getroffen, der auf wohltuend selbstsichere Art davon ausging, dass alles gut verlaufen würde. Doch auch wenn nicht, konnten sie noch immer in die Krokower-Klinik in der Stadt. Orlando hatte sein Versprechen wahr gemacht und einen Kontakt zu seiner Tante hergestellt. Dr. Rivera war inzwischen mit Ninas Fall vertraut und kannte alle Untersuchungsergebnisse. Außerdem hatte sie mehrfach mit Ninas Ärzten telefoniert.
Orlandos Tante hatte eine Kombination verschiedener „kluger“ Medikamente empfohlen, die von der Plazenta gefiltert wurden, um das Baby zu schützen. Sie hatte sich sogar die Zeit genommen, persönlich mit Sonnet zu sprechen, und ihre professionelle Art hatte eine sehr beruhigende Wirkung. Trotzdem
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