Für ein Ende der Ewigkeit (Lilith-Saga) (German Edition)
Jede Zelle meines Körpers wollte diesen Unbekannten tot sehen.
„Monsieur, ich kann Euch nicht mit der Comtesse gehen lassen“, sagte der Mann. Als ich seine Stimme hörte, steigerte sich mein Hass, bis ich das Gefühl hatte, daran zugrunde zu gehen. Meine gesamte Existenz schrie nach Vergeltung.
„Und was gedenkt Ihr dagegen zu tun, Major Le Clerk?“, fragte mein Begleiter.
„Ich werde Euch töten“, stellte der Major in einem beiläufigen Ton fest, als hätte er gesagt, er wollte uns zu einem Glas Wein einladen. Seine Worte lösten in mir eine Welle grenzenloser Ohnmacht aus. Jede Kraft wich aus meinem Körper.
Mein Begleiter rührte sich nicht vom Fleck. „Wie Ihr seht, bin ich unbewaffnet“, stellte er fest, während er seine Arme leicht zur Seite wegstreckte.
„Wenn Ihr mir folgen mögt, ich habe im hinteren Teil des Hofes zwei Degen bereitstellen lassen. Es wäre mir eine große Ehre, Euch einen davon zu überlassen“, entgegnete der Major.
„Ich werde mit dem größten Vergnügen Eurem Vorschlag nachkommen und stehe tief in Eurer Schuld für Eure Diskretion, die es mir ermöglicht, mich von der Comtesse zu verabschieden“, erwiderte mein Begleiter.
Der Major verbeugte sich steif, drehte sich wortlos um und verschwand in der Nacht.
Mein Begleiter wandte sich zu mir und strich mir langsam mit seinem rechten Zeigefinger über meinen Halsansatz. Es war ein Gefühl, als würde er mir die Seele herausreißen.
„Was will dieser Mann?“, fragte ich.
„Er will, dass ich ihn töte.“
Die Stimme war entschlossen. Wieder erschauerte ich. Und dann ergriff mich die Angst. Nicht die Angst, die ich vorhin verspürt hatte, nicht die Angst zu sterben. Eine viel schrecklichere Furcht kroch in mir hoch: Die Furcht, ihn, die Liebe meines Lebens, zu verlieren, wie ich bereits einmal alles verloren hatte.
Ich riss ihn an mich, hielt ihn fest und wollte schreien. Ich war voller Verzweiflung. „Geh nicht, wir kehren einfach wieder in den Saal zurück, oder wir nehmen eine der Kutschen und fliehen. Er wird uns nie finden!“
Mein Begleiter antwortete nicht, ich sah nur, wie sich seine Mundwinkel zu einer Art Lächeln hoben. Dann packte er mich am Hinterkopf, zog mich an sich und küsste mich. Seine Lippen waren hart und unnachgiebig. Ich konnte nichts an seiner Entscheidung ändern.
„Warte hier, es wird nicht lange dauern.“
Gegen meinen Willen fühlte ich, wie ich nickte.
Er drehte sich um und die Nacht verschluckte ihn.
Kaum war ich alleine, war das Gefühl der Angst wieder in mir. Viel stärker noch als vorher. Viel stärker als jemals zuvor.
Ich würde ihn verlieren. Ich würde ihn nie wieder sehen. Und wenn doch, dann nur seine kalte, leblose Hülle.
Nein! – schoss es mir durch den Kopf. Ich würde das nicht noch einmal durchstehen können.
Ich rannte los. Rannte in die Nacht hinein. Ich stolperte über Steine und drohte zu fallen. Mein enges Korsett schnürte mir den Atem ab und meine Panik wurde immer stärker, sie raubte mir fast den Verstand.
Aber jetzt konnte ich sie sehen. Die beiden Männer standen am Ende des Hofes. Am Boden neben ihnen war eine Laterne aufgestellt, die ein gelbliches Licht ausströmte.
Ich hielt an, presste meine Hand gegen meine Seite und versuchte leicht nach vorne gebeugt, wieder Luft zu bekommen. Dabei ließ ich die beiden Männer nicht aus den Augen.
Der Major hob zwei Degen an den Klingen hoch, streckte sie meinem Begleiter entgegen. Der wählte eine der Waffen aus, trat ein paar Schritte zurück und probierte mit dem Degen einige Schläge in die Luft, die zischte, als der Stahl sausend durch sie hindurch pfiff.
Der Major winkelte den linken Arm an, beugte das rechte Knie leicht vor. Seine Haltung hatte Ähnlichkeit mit dem Anfang eines Kampfes bei Taekwondo.
Mein Begleiter tat es ihm gleich. Dann zeigten sie mit den Spitzen ihrer Degen aufeinander. Sie verharrten einige Sekunden in dieser Stellung und dann bewegte sich der Major mit einer Schnelligkeit, die ich nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte. Der Stahl flirrte und es klirrte, als mein Begleiter die Attacke parierte.
Der Major war ein außergewöhnlicher Fechter. Er schnellte vor und zurück, ständig war seine Waffe gefährlich nah bei meinem Begleiter, ständig wehrte er dessen wenige Gegenattacken scheinbar mühelos ab. Der Major bedrängte ihn, er beherrschte ihn mit seiner Waffe - mein Begleiter hatte keine Chance.
Wieder wollte ich schreien, doch meine Kehle war wie zugeschnürt.
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