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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Gewehr ist doch gar nicht geladen«, der alte Bai kicherte immer noch, »so ein Genosse Volksbefreiungssoldat hat es auch nicht leicht.«
    »Ich habe es auch nicht leicht?« Der Wachsoldat stutzte. »Aber ich hocke doch nicht im Knast.«
    »Du bist noch viel schlimmer dran, als wenn du im Knast hocken würdest. Am Silvesterabend schlagen wir uns den Bauch voll, schauen unter einer warmen Decke gemütlich fern und genießen die Neujahrsparty in vollen Zügen, von alldem siehst du nichts. Du läufst hier mitten in der endlosen Finsternis traurig auf und ab, der kalte Wind heult, du hast niemanden zum Reden, denn du bist neu hier, ein grüner Junge, niemand schätzt dich. Im Augenblick sehnst du dich bestimmt nach Hause, bestimmt drückst du dir das Bild von deiner Freundin an die Brust … sie hat dich doch nicht im Stich gelassen?«
    »Red keine Opern!«
    »Ach, die Einsamkeit der Wachsoldaten!«
    Die Meute brach in schallendes Gelächter aus, dem Wachsoldaten entgleisten die Gesichtszüge, und er machte Meldung beim zuständigen Regierung. Direktor He persönlich kam mit gezücktem Elektroknüppel in die Zelle, befahl der ganzen Truppe, sich nackt in eine Reihe zu hocken und brannte allen eins über. Da schwiegen auf einmal des Himmels Flöten.
    Am Neujahrsmorgen sagte der alte Bai mit schlechtem Gewissen: »Ich bin Außenminister, ich bin meines Amtes nicht würdig, ich habe alle da mit reingezogen.«
    Wang Er wunderte sich: »Du warst gestern Abend ein bisschen daneben.«
    »Ich habe an meine frühere Frau gedacht, kaum gab es die ersten Probleme, wollte sie mich verlassen. Silvester vor zwei Jahren habe ich sie hinters Licht geführt und bin mit dem Wagen auf den Gipfel des Jinyun hochgefahren, du weißt schon, in Zhejiang, und dort habe ich sie rausgeschmissen. Da musste meine Alte mit ihrem Mäusemut im Dunkeln den Berg hinabtasten, sie hat sich ein paarmal überschlagen wie eine Dreckschippe, sie ist die halbe Nacht da herumgeirrt, hat sich eine blaue Nase und ein geschwollenes Gesicht geholt, sie war ganz fertig.«
    »Wie romantisch«, spottete Wang Er.
    »Romantisch war es erst gestern Abend, da hat mir das Ganze nämlich auf einmal leidgetan, das ist doch romantisch, oder?«
     
    Neujahr war noch nicht lange vorbei, als der Befehl kam zum Großreinemachen. Wir hatten den Boden und den Kang schon so oft geschrubbt, dass man sich darin spiegeln konnte.
    Der Sanfte Liu, der alte Drückeberger, stand auf einmal unerwartet in der Zellentür für eine Kontrolle, schärfte uns ein, das Wasserbassin im Innenhof sauber zu halten, und an das Urinbecken und andere neuralgische Punkte müssten wir unbedingt mit einer Zahnbürste ran. Wang Er krempelte die Ärmel hoch, weit hoch, und tat so, als wolle er anfangen, sagte aber heimlich zu unserem Todeskandidaten Ma Yun: »Jetzt hast du eine Chance, deinen Arsch zu retten.«
    Ma Yun war der Chef einer Räuberbande in irgendeinem Kaff gewesen, nach seinem Urteil wimmerte er den ganzen Tag etwas von Justizirrtum, ich habe ihm den entsprechenden Paragraphen aus dem »Strafrecht« ein paarmal vorgelesen, aber dieser sture Ochse betete unentwegt nur einen Satz herunter: »Ich habe niemanden umgebracht.«
    »Außerdem war da auch keine wertvolle Sache dabei.«
    Wang Er sagte mitleidig: »Ein Wirrkopf von Richter mit einem wirren Urteil.«
    Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte.
    »An dem Tag, an dem der Tote Ma hier herauskommt«, blinzelte Wang Er mir zu, »ich denke, in höchstens drei, fünf Jahren, als es Abend war, hörten wir dreimal das Nageln von Fesseln. Und wir werden es immer noch nicht glauben, dass so ein kleiner Fall gleich drei Leuten den Kopf kosten soll.«
    »Ich werde nicht gehorchen!« Ma Yun schlug sich an die Brust.
    »Morgen kommt bestimmt ein hoher Beamter zur Inspektion.« Wang Er schaute in die Runde und flüsterte absichtlich geheimnisvoll: »Und wenn er reinkommt, dann fällst du vom Kangrand, umklammerst seine Beine und schreist Justizirrtum. Weißt du nicht, dass sich früher Leute, die wegen eines Kapitalverbrechens angeklagt waren, den Sänften von kaiserlichen Bevollmächtigten und hohen Beamten in den Weg gelegt haben? Und wenn du seine Beine nicht umklammerst, dann besteht überhaupt keine Aussicht auf Rettung.«
    »Ich habe Berufung eingelegt.«
    »Sehr hilfreich!«, sagte Wang Er ungeduldig, »wirst du dich ihm nun zu Füßen werfen oder nicht?«
    Ma Yun zögerte ein wenig, dann nickte er zähneknirschend.
    Insgeheim war ich

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