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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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wir bei den Felldieben vom Land die Zettel gegen Huhn und Fisch. Als am Abend das Neujahrsessen auf dem Kang stand, teilte der Appetit die Meute natürlich in Stadtbewohner und Landbewohner. Die Felldiebe zankten bis auf den letzten Rest um fettes Fleisch, und obwohl es sehr kalt war, trieften ihre Köpfe vor Schweiß und Öl; die acht Gefangenen, die aus der Stadt kamen, nahmen Wasser für Wein, stießen mit ihren Schalen an und amüsierten sich.
    Das linke Hühnerbein gehörte natürlich Wang Er; ich war der Schriftführer der Zelle, und wenn die Arbeit hart ist, ist der Lohn gut, mir wurde das rechte Hühnerbein verehrt.
    Wang Er hielt eine Rede: »Konterrevolution, du nimmst dich nicht so wichtig wie Literaten sonst, wir trinken auf dich!«
    Ich beeilte mich, jedem etwas von der Hühnerbrühe einzugießen, und sagte bescheiden: »Wir alle sind Leidensgenossen, unter uns ist keiner besser als der andere, trinken wir zusammen ein Glas!«
    Wang Er seufzte gerührt: »Ich bin als Teenager in den Knast gekommen, der größte Konterrevolutionär, den ich in meinem Leben gesehen habe, war Huang Lian, in der Kulturrevolution war er in Chongqing kommandierender Offizier der Rebellen vom 15. August; als er ins Gefängnis kam, genoss er überall hohes Ansehen, die Polizisten wollten ihn samt und sonders bedienen.«
    Ich meldete Zweifel an: »Wie alt willst du sein? Er war damals der Mann der Stunde, aber kannst du mit ihm zusammen gesessen haben?«
    »Unter dem Kroppzeug im Knast findet sich manchmal ein verborgener Drache, ein schlafender Tiger«, dozierte Wang Er. »Im Knast sitzen und mit dem Stift zu jonglieren, das ist ein Segen, das hat der alte Huang Lian gesagt. Ein sehr kluger Kopf, aber leider hat er achtzehn Jahre bekommen, ungefähr so viel wie die Kriegsverbrecher, die gegen die Armee gekämpft haben, Huang Lian war ein Kriegsverbrecher innerhalb der Kommunistischen Partei. Er hat ein Kriegsschiff von Chongqing aus über den Jialing auf den Yangzi gebracht, gemeinsam mit den rebellischen Soldaten, die die Kais von Chaotianmen bewachten, brachte er den Kampf zu Ende, führte den Angriff mit großen Kanonen und versenkte einen Schweinefrachter – und die Fleischlieferung für einen Monat für die Einwohner von Chongqing ging in Wogen aus Blut und Wasser unter.«
    »Ein Räuber als kommandierender Offizier«, sagte ich verächtlich.
    »Du bist doch selbst Räuber und Offizier«, Wang Er machte große Augen, »ich achte dich als aufrechten Literaten, lass diesen heruntergekommenen Felldieb Wan Li für dich schuften, oder willst du unbedingt lieber selbst schuften, anstatt zu lesen? Wenn diese Gesellschaft dir gegenüber milde ist, dann kann sie nicht ihnen gegenüber milde sein, Huang Lian hat ›Das Kapital‹ gelesen, er hat gesagt, das sei die Klassentheorie, die Marx aufgestellt hat, ein Teil der Leute beutet den anderen Teil aus.«
    »Das ist unverantwortlicher Unsinn!«, regte ich mich auf.
    »Das Gleiche habe ich auch von der Regierung gelernt«, lachte Wang Er, »die Regierung lässt uns Tüten kleben, um so ohne Lohn aus den Gefangenen den letzten Rest an Wert herauszupressen, das verstößt gegen die wichtigste Grundregel des alten Marx. Aber wenn ich an damals denke, wer hätte es da gewagt, einen Huang Lian für sich arbeiten zu lassen? Die Zelle war sein Studio, ich war sein Buchjunge, ich machte ihm den Tee, das Essen, wusch seine Kleider, er hatte an dem Sesamkuchen nicht nur keinen Spaß, er verbot mir sogar, etwas davon zu nehmen, was mich so aufbrachte, dass ich ihm über zwanzig Seiten aus seinem ›Kapital‹ herausriss.«
    »Du bist ein würdiger Gefolgsmann von Marx«, lachte ich, »die Rebellion hatte Sinn.«
    »Richtig«, sagte Wang Er zufrieden, »nachher war Huang Lian wieder gut zu mir, und wenn der Geist der Rebellion einmal geweckt ist, dann kann man das nicht mehr in Ordnung bringen. Ein Todeskandidat in unserer Zelle hasste einen von den anderen Kerlen, ich fragte ihn auf der Stelle, ob er ihn mit seinen eigenen Händen erwürgen wolle? Damals waren die Revisionszeiten kurz, wenn man einmal verurteilt war, wurde man innerhalb von zehn, vierzehn Tagen hingerichtet. Um es nicht zum Äußersten kommen zu lassen, wurden dem Todeskandidaten Hände und Füße gefesselt, er konnte nicht stehen, nicht gehen, nicht liegen, er war verschnürt wie ein Fleischklößchen in ein Bambusblatt. Einmal hatte ich Nachtwache, als dieser lebendige Tote mich drängte, mein Versprechen zu halten. Im

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