Für ein Lied und hundert Lieder
ihre Handsänfte ab, aber sie konnten sie nicht von der Stelle bewegen. Nach diesem Rückschlag machten sich vier Rotfelle mit vereinten Kräften daran, diesen ehrenhaften Buddha ins Paradies zu bitten.
Die Tage zogen sich in die Länge wie der Gürtel, den ich mir um den Leib wickelte; nach dem Frühlingsfest wurde der Dauerregen immer öder. Mein Anwalt allerdings ließ sich häufiger sehen als früher, aber er konnte nicht ein einziges Mal den Hunger, der in meinem Leib laut meuterte, stillen. Also entwickelte ich andere Begehrlichkeiten: »Haben Sie einen Spiegel?«
»Mach dich nicht lustig über einen alten Mann!«, sagte er mit strenger Miene.
»Von wegen lustig machen, Herr Anwalt«, ich schluckte, »ich habe über ein Jahr mein wertes Antlitz nicht mehr zu Gesicht bekommen, ich möchte wissen, wie viele Pfunde ich verloren habe.«
»Du bist rund und fett«, sagte der Alte und musterte mich von oben bis unten.
»Ich habe das Gefühl, überhaupt keine Kraft mehr in den Beinen zu haben.«
»Reden wir doch über den Fall!«, sagte der Alte verärgert, »draußen schüttet es, ich kann mich hier nicht immer völlig durchweichen lassen.«
»Einen Moment mal!« Ich sprang auf und stürzte zum Fenster: Gegen den dunklen Himmel sah ich mein Gesicht im Fenster, irgendetwas zwischen einem Gespenst und einer weiß angemalten Maske. »Und das soll rund und fett sein, wie Sie immer sagen?«, fragte ich.
»Setz dich!«, befahl der Alte.
Ich war verärgert: »Sie haben mir nie etwas zu essen mitgebracht!«
»Das wäre gegen die Vorschriften!« Der Alte schlug auf den Tisch und erhob sich, »ist es nicht das, wogegen ihr rebelliert? Die Verletzung der Vorschriften?!«
Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Warum hatte mir das Schicksal so einen alten Zausel geschickt? Um sein Spiel mit mir zu treiben? In China wusste jedes Kind, dass die Gerichtsdebatten bei politischen Anklagen absolut bedeutungslos waren, ein Anwalt hatte überhaupt keinen Scheißsinn, wenn nicht den, mit einem Packen Futter unter dem Arm hier hereinzukommen und seinem Angeklagten etwas zu essen zu bringen.
Ich hatte mir schon unzählige Male mit meinem Anwalt und mit Polizisten einen Schirm geteilt, wir stiegen im Pulk durch die breite Regenwand die Steinstufen hinab. Manchmal stützten wir einander sogar ganz unbewusst. Aber in mir drin habe ich das Verlangen, diese Leute zu Boden zu stoßen und zu fliehen, nie abschütteln können, aber etliche »Gelegenheiten« verstrichen, die dann oft in meinen Träumen wieder auftauchten: Mit Leichtigkeit nahm ich ihnen die Köpfe ab, schwebte mit dem Regenschirm in der Hand in die Luft, wagte aber nicht, irgendwo zu landen, denn unten warteten die Polizisten ohne Kopf, ja, sie vermehrten sich sogar … die Hand, mit der ich am Schirm hing, tat weh, der Schirm bekam ein paar Löcher, rasant ging es mit mir hinunter. Ich wälzte mich hin und her und wurde wach, aber mein Herz raste wie ein wildes Pferd auf der Flucht.
»Ob ich das am Ende aushalte?«, fragte ich mich selbst, »werde ich später einmal einen Lehrfilm drehen, der sich an Träumen entlangbewegt?«
Wenn man im Knast sitzt, darf man es nicht eilig haben.
Eines Abends verdunkelte sich auf einmal der Himmel, die rare Sonne sah aus wie ein völlig verfaultes Syphilisgeschwür, das seinen goldenen Eiter in die Zelle drückt. Selbst die Spinnen erwachten aus ihrem Winterschlaf und knüpften oben an der Wand emsig ihr Netz; da war auch eine rote, kirschgroße Spinne, die sich streckend und zusammenziehend heruntersank und die zartesten Saiten der Gefangenen anschlug. Nach dem traditionellen Knastaberglauben würde der besonderes Glück haben, auf dessen Kopf sie fiel. Da kam auf einmal ein böser Windstoß und schaufelte sie in den ersten Stock, wir alle stampften verzweifelt mit den Füßen.
Wie immer zählte ich die Sonnenkaros, die vom Innenhof neben das Gitter fielen und schnell die Mauer hochstiegen. Nach meinem Gefühl wusste ich, dass der Himmel brannte. Dieses kalte Feuer des Vorfrühlings, würde es das Eis in unseren Knochen auflösen oder weiter verfestigen? Zufällig schaute ich hinter mich in die Zelle und sah, wie der Abendnebel über den Köpfen meiner Mitinsassen wogte. Mein Magen käute wieder, ich spuckte einen Mund voll Kürbissuppe, die ich als Abendessen heruntergeschüttet hatte, heraus, wie der Eiter der Sonne brannte sie unerträglich in meinen Eingeweiden.
Vor vielen Jahren hatte ich im Schulbuch
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