Für ein Lied und hundert Lieder
eigener Arzt, mit der würdevollen Zwangsvorstellung, in die Geschichte eingehen zu sollen, zerstreute ich die Mittelmäßigkeit und den Wahnsinn, wie sie vom alltäglichen Leben produziert werden.
Vor dem Untergang stellt sich oft ein gewisser Überschwang der Gefühle ein: Eines Vormittags wurde ich von unserem Wachhabenden Wen in flagranti in der dritten Gruppe erwischt, sein Gesicht wurde schwarz wie Eisen, und er ließ mich eine Pferdehuffessel spüren – es war das erste Mal, dass ich wegen der Verletzung der Gefängnisregeln bestraft wurde.
Ein Zeichen, dass sich mein Glück wendete: Von einem Augenblick zum anderen war ich weniger wert als ein Haufen Hundescheiße. Die Provokation ging von einem Latrinendieb aus, dem kleinen Fujian, den ich unter meine Fittiche genommen hatte. Er war Fischer gewesen, an der Taiwan-Straße, und sie haben ihm das Gesicht blutig geschlagen, weil er mir geholfen hat, die Hose aufzumachen und mein Gerät herauszuholen; danach haben sie ihn gezwungen, sich nackt auszuziehen und sich Seite an Seite mit ein paar anderen Felldieben auf den Boden zu legen und alle viere von sich zu strecken. Als fleischgewordene Bank diente er den Oberen als Sitzgelegenheit für ein Schwätzchen. Der Quadratschädel kam auf Süchte zu sprechen und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf ihn drauf, redete, lachte und pulte sich zwischen den vergammelten Zehen (außerdem mussten die fleischgewordenen Bänke jederzeit bereit sein, als alles Mögliche herzuhalten, auf Anruf ihrer Herren verwandelten sie sich in ein Waschbrett, in einen Schemel zum Füßewaschen und in Turnpferde).
Die Glocke läutete zum Abendessen, ich folgte dem großen Strom und stellte mich an, konnte aber wegen meiner auf den Rücken gefesselten Hände das Essen nicht selbst in Empfang nehmen. Einer der Mörder, ein Mann namens Li, nahm es für mich entgegen. Zurück in der Zelle, wartete er, bis die Oberen die Tafel aufhoben, und warf meinen Fressnapf auf den Boden. Mit einem Tritt in die Kniekehlen zwang er mich auf die Knie und befahl mir, wie ein Hund vom Boden zu fressen. Die Oberen bildeten einen Halbkreis und feuerten mich an. Widerstand war zwecklos, mein Gesicht wurde in den Napf gedrückt, der kochend heiße Reis drang mir in Mund und Nase, ich verschluckte mich und fing an zu husten.
Ich zog meinen Körper zusammen, mein Kopf dehnte sich wahnsinnig aus, aus meinen Ohren kam Gebell. Die Oberen schüttelten sich vor Lachen, der Quadratschädel wedelte mit der Hand und dirigierte das wüste Gelächter des Diebesgesindels. Der Mörder Li packte mich am Hals, spuckte mir seinen Rotz in den Mund und trat mich wieder in den Napf.
Ich verbrühte mich so heftig, dass ich eine jähe Bewegung mit dem Kopf machte. Der Napf fiel auf die Seite. Mit einem dumpfen Geräusch wurde ich auf den Boden getreten, mein Gesicht war nur noch eine verwirrte Feige. Ich war gelähmt.
»Gehorchst du jetzt?«, brüllte der Quadratschädel.
Ich reagierte nicht.
»Gehorchst du jetzt?!« echote das Diebesgesindel. Ich wurde hochgezerrt, irgendjemand schüttete mir einen Schluck kaltes Wasser ins Gesicht.
»Ich gehorche nicht!«, brüllte ich, aber mein Kopf sank herab.
Die Diebeskönige warfen mich neben die Latrine, bildeten wieder einen Kreis und spielten mit Begeisterung Poker. Ich stemmte mich hoch, lehnte mich gegen die Wand und schob den Kopf zwischen die Knie. Ich hörte, wie der Mörder Li wegen seiner Verdienste in Bezug auf die Behandlung meiner Person vom Quadratschädel auf der Stelle zum Oberen Nr. 7 befördert wurde. Der Kerl freute sich derart, dass er absichtlich zwei Runden verlor und sogar drei große Schalen mit kaltem Wasser mit der Bemerkung runterschüttete, das sei gar nichts. Ich trauerte zwei Stunden schweigend vor mich hin, wie eine Betonstatue, und das Diebesgesindel vergaß mich mit der Zeit. In mir tobte ein immer schlimmer werdendes Gewitter. Meine körperliche Kraft kehrte tröpfchenweise zurück, ich drehte die Handgelenke, versuchte sie Dutzende Male vergeblich aus den Fesseln zu ziehen, aber ich machte weiter, mit einer mir bis heute nicht ganz verständlichen hartnäckigen Energie.
Eine Ratte, die man an die Wand nagelt, ist imstande, sich das eigene Bein abzubeißen, um sich zu retten. Vor meinen Augen tauchte immer wieder eine große Wand auf, ein Nagel und ein baumelndes Rattenbein. Diese Wahnvorstellung stachelte mich an, ich setzte alles auf eine Karte. Ich quetschte mir vom Handrücken ein
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