Für ein Lied und hundert Lieder
ließ beide Seiten im Freiganghof noch einmal die Kräfte messen – aber fair. Die dritte Schicht hatte einen Meister, der ihnen den Rücken stärkte, der ihre Tapferkeit vervielfachte, der meine Seite wie aufgeschreckte Hühner durch die Gegend scheuchte. Der alte Guo streichelte sich die Handfläche und lachte laut, er amüsierte sich königlich und warf sich höchstselbst mit nacktem Oberkörper in das Getümmel, mit seiner Bambusrute beherrschte er alles. Ich zögerte ein wenig, schon hatte er mich am Kragen, der alte Guo musterte seine Kriegsbeute von oben bis unten, tat überrascht und sagte: »Ist das nicht unser Künstler vom Fernsehen, der gegen die Partei ist? Einer von uns ist zu viel auf dieser Welt!« Damit brachte er die dritte Schicht zurück und wickelte das Geschäft mit einem alten Zhao ab, der den Spitznamen »Der Klare« trug.
Der Klare war Gewohnheitsräuber, ein Mann von außergewöhnlichen Gaben.Von klein auf hatte er unter der finanziellen Not und Armut seiner Familie gelitten, war auf die schiefe Bahn geraten und hatte, seit er zehn Jahre alt war, mehrfache Umerziehungen und Belehrungen durch Arbeit mitgemacht. Der Klare prahlte gern mit der Geschichte seiner Flucht: »Gerade hatte ich mir das Vertrauen des Ortskaders erschlichen und war sein Einkäufer geworden, wie der Blitz saß ich im Bus zum Markt; und als ich den Kader abgeschüttelt hatte, bin ich sofort von den großen Straßen weg. Über eine Woche bin ich durch den Wald marschiert, ohne mich zu verirren, ich habe mich nämlich an den Fernsehmasten auf dem Bergrücken orientiert. Wenn ich auf eine verdächtige Person traf, hockte ich mich hin, sammelte Steine, klopfte hier und klopfte da, tat so, als sei ich ein Bergmann, der den Boden untersucht, mein Gesicht war schwarz, außerdem trug ich Arbeiterkleidung, ich brauchte keine Schminke. Und da war auch noch ein junges Ding vom Stamm der Yi, die hat Berglieder gesungen und mich verführt.«
»Die Geschichte hast du schon dreimal erzählt.«
»Echt? Das habe ich ganz vergessen«, sagte der Klare frech, »wäre gut gewesen, wenn ich dich draußen kennengelernt hätte, vielleicht hätte ich in deinem Fernsehfilm eine Rolle übernehmen können, dann säße ich jetzt zwar auch im Knast, aber als Berühmtheit.«
»Du könntest höchstens einen Ausbrecher spielen.«
»Du bist ein hochnäsiger Kerl«, er gab nicht klein bei, »ich werde dir auf der Stelle mal unser Programm vorspielen, du wirst Augen machen!«
Li, die Nummer zwei, sprang ihm zur Seite: »Du verstehst den Klaren nicht, mehr als die Hälfte der Lieder, die hier auf dem Kiefernberg in Umlauf sind, sind von ihm.«
Ich sah mich nach allen Seiten um und sagte verwundert: »Und zwei Obere können sich um so viele Felldiebe kümmern?«
Li erklärte: »Je mehr Obere es gibt, umso schwerer ist die Last für die Unteren und umso schärfer ist der Klassengegensatz. Das Knastleben ist für alle bitter, aber wenn die oben und unten miteinander auskommen, dann geht es.«
Der Klare meinte verächtlich: »Nicht wie in eurer Schicht, mit sieben, acht Oberen, die saugen den Unteren ja das Blut aus.«
»Und was ist mit den freizügigen Geständnissen?«
»Ich mache denen hier nicht den Aushilfsbullen«, beeilte sich der Klare zu erklären, »Verbrecher, die Verbrecher maßregeln, ich bin zu alt für so was, so etwas lade ich mir nicht auf. Ein Glück, dass ich auf den Aufseher Guo gestoßen bin, der hat sie nicht alle, ist aber ganz amüsant, der versucht nicht, befördert und reich zu werden, der will nur, dass in der Zelle Ruhe herrscht und fertig.«
Der Körper dieses Ganoven dünstete einen unerschütterlichen Glauben an die Gerechtigkeit aus, ich musste das anerkennen: »Du trägst deinen Spitznamen zu Recht, du bist wirklich so etwas wie ein Engel in der Hölle.«
»Wenn du dich verlegen lassen könntest, das wäre gut«, sagte der Klare mit Bedauern, »könnten wir von dir etwas lernen.«
Weil ich in meiner eigenen Zelle isoliert war, habe ich oft das Risiko auf mich genommen, zur dritten Schicht zu fliehen. Am Anfang war ich noch relativ vorsichtig, wenn ich nach dem Frühstück dort vorbei- und vom Hofgang zurückkam; später wurde ich mutiger und stahl mich beim Frühstück davon und kehrte nach dem Mittagessen zurück; einmal habe ich sogar in der dritten Schicht meinen Mittagsschlaf gehalten, als ich am Abend zurückkehrte, wäre ich liebend gerne noch geblieben.
Das Programm, das der Klare präsentierte, war sehr
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