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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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abwechslungsreich, es gab kleine Szenen, Einakter, rhythmisch vorgetragene Erzählungen, Gesangssolos, Chorstücke, Gesang mit Spiel, Akrobatik und Sport. Hier einige Kostproben aus den Balladen, die der Klare im Gefängnis geschrieben hat:
    Fünf Männer auf dem Tiananmen, die großen!
    der große Mao bat mich, mit ihm anzustoßen.
    Saufen bis zum Kai, dort runter mit den Hosen,
    jetzt werden wir Matrosen.
    Revolution braucht Selbstvertrauen
    Zieh dir selbst die Hosen runter
    sonst mach ich dich flott und munter
    fick dich im Arsch und lass mir einen kauen.
    ’Nen Steuermann braucht es auf See,
    Junge Diebe zieht die Sonne in die Höh,
    Tau und Regen gießt die junge Saat,
    Dich schön macht mein Ejakulat.
    In den Zellen aller Gruppen nahmen die Schlagersternchen eine große Zahnpastatube als Mikrophon, der Klare übernahm selbst die Leitung und stellte dem Publikum einen Kinderstar vor, einen Teenager. Der Zungenschlag des Klaren klang ein bisschen nach Hongkong und Taiwan, aber von nichts kommt nichts:
    »Der Kleine Teufel hier kommt aus Taiwan, aus der Jugendstrafanstalt in Gaoxiong, er träumt davon, ein Schlagerstar zu werden, seit er drei ist. Aber wie kann ein Junge aus armen Verhältnissen, dessen Eltern beide tot sind, sich solch einen Traum erfüllen? Da bleibt nur Stehlen. Und wenn man genug Geld beisammen hat, kann man sich in ein Flugzeug setzen, zum Himmel fliegen und singen. Dieser kleine Kerl, der Gott sehen wollte, hat drei Jahre lang sehr hart gekämpft, bis er genug Geld zusammengestohlen hatte, um sich das Ticket einer internationalen Fluggesellschaft leisten zu können. Er wollte in der Tat im Luftraum über der Taiwanstraße seine Stimme zu Gehör bringen, wurde aber als vermeintlicher Flugzeugentführer festgenommen. Er wurde nach Festlandchina repatriiert und sein Traum zerstört. Nun, unter der Regie und den Händen des Klaren wird der Traum wahr, hier, auf dem Kiefernberg.«
    Sofort erhob sich auf den Wink des Klaren lautlos Nummer drei von den Felldieben und stellte sich rechts neben den Kinderstar und tat so, als würde er Geige spielen. Nach einem lautlosen Vorspiel fing der Kinderstar mit lieblicher Stimme an:
    Achtzehn Jahr, mein Herz voll Tränen war,
    die Freiheit war verspielt,
    wer weiß, was ich gefühlt?
    Die Zeit hier drin
    Zieht lang sich hin
    Mama wartet auf ihr Kind.
    Mama, darfst nicht traurig sein, bin erst achtzehn Jahr.
    Der Himmel grau, bald werden wir uns wiedersehn
    wer die Heimat so verspielt,
    weiß, was ich gefühlt!
    Stäbe, Gitter, wie ein Wald
    Möcht’ zu den Eltern gehn
    Mein Herz ist Asche, kalt,
    Musst nicht weinen, Ma, bin schon achtzehn Jahre alt!
    Die Zelle war von Schluchzen erfüllt, der Klare als Regisseur wischte sich mit einer übertriebenen Geste die Tränen aus dem Gesicht, dann ging es weiter im Text:
    »Dieses Lied ›18 Jahr‹ hat schon viele unserer entwurzelten Jugendlichen hingerissen, aber selbst einem entwurzelten Menschen in den besten Jahren wie mir und den ganzen entwurzelten alten Säcken vor der Bühne geht es nicht anders. Aber einmal Dieb, immer Dieb, einmal Räuber, immer Räuber, wir leben in einer kalten Gesellschaft, und wir haben nur dieses Leben. Und selbst wenn wir ein Leben lang nichts geraubt und nichts gestohlen hätten, wir hätten keine guten Menschen werden können. Hei, das ist doch auch etwas, ein abgeschlagener Kopf hinterlässt eine Mordsnarbe. Jetzt erlauben Sie, meine Damen und Herren, dem Klaren, Ihnen ein Gedicht vorzutragen, ich hoffe, dass der echte und qualifizierte Dichter, der heute bei uns ist, nicht über meine Knittelverse lachen wird!«
    Bitter, Baby, bitter pur,
    was ich als junger Dieb erfuhr:
    Vater tot und Mutter hat ’nen andern.
    Ging mit ’nem alten Lump auf Tour
    Wo ich zehn Scheine reiß’,
    sind fünf schon für den Alten,
    zwei Scheine hat der Kreis,
    zwei die Bullerei behalten.
    Ein Schein nach Haus, das Geld
    für Fressen, Saufen, Huren, Spiel.
    Nichts als Spieler auf der Welt,
    Und ich war überall am Ziel.
    Tritte, Schläge hart wie Küsse,
    ab in die Hölle, und zurecht zuletzt.
    Lager, Umerziehung, Schüsse,
    Voll auf’s falsche Pferd gesetzt.
    Tosender Beifall aus dem Publikum, auch ich applaudierte von Herzen. Ganz gleich, ob dieser Heroismus echt war oder nicht, der Auftritt des Klaren stand dem der Revolutionsmärtyrer in nichts nach.
    Für die unter der Leitung des Klaren stehende vorletzte Gesangsnummer, die den Titel »Der kleine Mönch vom Kiefernberg« trug, wurden

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