Für eine Nacht
sie hat ihn geliebt, das weiß ich. Also muss er auch viele gute Seiten gehabt haben.« Madeline sah Sloane eindringlich an.
Tränen schimmerten in den Augen der älteren Frau, und eine tiefe Gefühlsregung spiegelte sich in ihnen wider. Trauer? Bedauern? Schuld? Sloane konnte es nicht sagen.
»Er war ein guter Mensch«, beharrte Madeline mit fester Stimme. »Schau doch nur, wie viel Gutes er dir vererbt hat.«
Sloane schluckte hart. Sie wollte jetzt nicht über sich selbst nachdenken. Wenn sie das tat, würden ihre überreizten Nerven sie im Stich lassen, und sie musste erst das Ende der Geschichte hören.
»Sloane ...« Madeline rieb sich mit dem Handrücken über die Augen, ehe sie fortfuhr: »Deine Mutter war am Boden zerstört, als er sich von ihr trennte. Sie hat ihn über alles geliebt. Und als sie merkte, dass sie schwanger war, packte sie ihre Sachen, um zu Samson zurückzugehen.«
Sloane beugte sich vor. Sie kam sich vor, als lausche sie der Geschichte einer fremden Frau, nicht der ihrer eigenen Mutter. »Was geschah dann?«
»Dein Großvater blieb unerbittlich. Er gab zu, Samson
Geld gegeben zu haben, um ihn loszuwerden. Jacqueline kannte Samson aber gut genug, um ganz sicher zu sein, dass er sie nicht aus Habgier hatte fallen lassen. Aber als ihr Vater drohte, Samsons Familie zu vernichten, wenn sie zu ihm zurückkehrte, musste sie nachgeben, so wie Samson es offenbar auch getan hatte.« Madeline hob die Hände und ließ sie wieder sinken. Ihre ganze Hilflosigkeit drückte sich in dieser Geste aus.
»Das klingt ja geradezu mittelalterlich!«
»Ich weiß. Und bis heute habe ich keine Ahnung, was dein Großvater über Samsons Familie herausgefunden hat. Dieses Geheimnis hat der alte Jack mit ins Grab genommen. Aber es muss schwer wiegend genug gewesen sein, um Jacqueline dazu zu bewegen, sich seinen Wünschen zu fügen. Sie wollte deinen Vater schützen. Deinen leiblichen Vater, meine ich.«
Vor Sloane drehte sich alles. Sie merkte, dass sie kurz vor einem Migräneanfall stand. Sie erhob sich, ging zur Minibar in der Ecke hinüber und goss sich eine Diätcola ein. »Möchtest du auch etwas trinken?«, fragte sie Madeline.
»Nein, danke. Ich möchte die ganze Angelegenheit nur endlich hinter mich bringen. Obwohl mir dein Vater den Hals umdrehen wird, weil ich dir alles erzählt habe, ohne dass er dabei war.«
Die Stimme ihrer Stiefmutter klang schuldbewusst. Sloane konnte sie gut verstehen. Sie wusste, dass ihre Eltern einander nie belogen. In diesem Punkt hatten sie ihren Kindern immer ein gutes Beispiel gegeben. Bis jetzt. »Hat Dad eigentlich jemals vorgehabt, mir die Wahrheit zu sagen?« Sie kehrte zum Sofa zurück und trank einen großen Schluck Cola, ehe sie sich wieder setzte.
»Er wollte mit dir irgendwann einmal über all das sprechen.
Ich wollte es auch. Wir wussten nur nicht, wie wir das anstellen sollten.«
Madelines Augen flehten um Verständnis, aber die Beweislast war zu erdrückend. »Dad kann einen Wahlkampf bis ins kleinste Detail organisieren, aber er hat es nicht fertig gebracht, mir ins Gesicht zu sehen und mir zu sagen, dass er gar nicht mein Vater ist?«
Madeline starrte auf ihre im Schoß gefalteten Hände. »Er liebt dich. Er hatte Angst, dich, dein Vertrauen und deine Liebe zu verlieren. Genau wie ich. Möchtest du wissen, wie Michael auf der Bildfläche erschien?«
Offenbar war Madeline klug genug, nicht zu fragen, wie viel von Sloane sie nun, da sie die Wahrheit kannte, schon verloren hatten. Gott sei Dank, dachte Sloane. Sie hätte auf diese Frage keine Antwort gewusst. »Erzähl es mir«, brachte sie mühsam hervor.
»Michael, dein Vater – und er hat sich immer als deinen Vater betrachtet – war in deine Mutter verliebt. Ihre Familien waren miteinander befreundet, ihre politischen Ambitionen verbanden sie. Michaels Vater und dein Großvater waren Kollegen. Und so war es für die beiden Senatoren ein Leichtes, eine Heirat zwischen ihm und deiner Mutter zu arrangieren. Auf diese Weise hattest du einen Namen, und dein Großvater hat im Gegenzug seinen Einfluss genutzt, um Michael den Sprung in die Politik zu ermöglichen.«
»Ein richtiger Kuhhandel.« Sloane schüttelte sich angewidert.
»Aber bei diesem Kuhhandel ging es niemals um dich. Deine Mutter liebte dich, dein Vater – Michael – liebte euch beide. Er hätte deine Mutter auch ohne Gegenleistung geheiratet. Es war dein Großvater, der auf dieser Abmachung bestand.« Madeline seufzte. »Ich
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