Für eine Nacht
dachte kurz nach. »Also gut.«
»Was?« Sloane hatte sich schon auf eine Auseinandersetzung gefasst gemacht.
»Ich wusste immer, dass dieser Tag kommen würde, auch wenn dein Vater die Augen davor verschlossen hat. Und deine Mutter, möge sie in Frieden ruhen, hat einen Brief für dich hinterlassen. Sie konnte natürlich nicht vorhersehen, dass sie nicht lange genug leben würde, um dich aufwachsen zu sehen, aber sie war eine praktisch denkende Frau, deshalb hat sie trotzdem für diesen Fall Vorkehrungen getroffen.« Madeline
erhob sich und ging zu Sloane hinüber. »Er liegt zu Hause im Safe. Sobald wir zurück sind ...«
»Ich kann nicht so lange warten. Ich will ihn sofort treffen.«
»Jetzt?«, fragte Madeline bestürzt. »Meinst du nicht, du brauchst erst einmal ein bisschen Zeit, um all diese Neuigkeiten zu verarbeiten? Und solltest du nicht vorher mit deinem Vater sprechen?«
»Nein!« Sie war noch nicht bereit, Michael gegenüberzutreten. Erst wollte sie ihren leiblichen Vater kennen lernen, ihn vor möglichen Gefahren warnen und dafür sorgen, dass Michaels Wahlkampf ungehindert seinen Fortgang nehmen konnte. Ihr ging viel zu viel im Kopf herum, als dass sie sich den Emotionen gewachsen fühlte, die sicherlich in ihr aufwallen würden, wenn sie ihn mit seinen Lügengeschichten konfrontierte. »Weißt du, ob Samson immer noch in Yorkshire Falls lebt?«
Frank würde es wissen, aber er war der Letzte, den Sloane fragen konnte. Auch Michael mochte Bescheid wissen. Nur galt für ihn dasselbe wie für Frank.
»Fahr doch einfach hin und erkundige dich nach ihm. Wenn er nicht mehr in Yorkshire Falls wohnt, kann man dir dort vielleicht weiterhelfen.« Madelines Stimme klang resigniert. »Ich werde deinem Vater alles erklären. Du kannst mein Auto nehmen.« Sie griff nach ihrer Handtasche.
»Ich miete mir lieber einen Wagen.« Unter falschem Namen , dachte Sloane, sprach es aber nicht laut aus. Sie konnte es sich nicht leisten, dass sich jemand auf ihre Fährte heftete. Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie presste eine Hand dagegen. »Was ist mit Dads Pressekonferenz?«
Madeline zog sie an sich und küsste sie auf die Stirn. »Wenn jemand nach dir fragt, sage ich, dir ginge es nicht gut
und du hättest dich hingelegt. Dein Vater wird dich auch decken. Aber kannst du denn deine Arbeit einfach so im Stich lassen?«
Sloane hatte nicht mehr an ihren Job als freiberufliche Innenarchitektin gedacht, seit sie gestern Abend Hals über Kopf aus dem Hotel geflohen war. »Ich habe mir ein langes Wochenende freigenommen, um Zeit für euch zu haben, und ich schätze, ich kann meine Auftraggeber noch ein paar Tage länger hinhalten.« Sie glaubte nicht, dass es so lange dauern würde, den Mann aufzuspüren, der ihr leiblicher Vater war.
»Na schön. Aber du brauchst Schutz ...«
»O nein. Kein Secret Service, keine Leibwächter. Niemand. Das ist eine Sache, die ich ganz alleine regeln muss.« Sloane verschränkte die Arme vor der Brust. In diesem Punkt würde sie keinesfalls nachgeben.
»Jetzt hast du wieder diesen trotzigen Ausdruck im Gesicht.« Madeline schmunzelte, obwohl ihr nicht nach Lachen zumute war.
»Wie bitte?«
»So ein Gesicht hast du als Kind immer gemacht, wenn du etwas nicht wolltest. Ich esse meinen Spinat nicht, und du kannst mich nicht dazu zwingen. Genau so siehst du jetzt aus.«
Sloane grinste. So viele wundervolle Erinnerungen verbanden sie mit Madeline und Michael. Sie wünschte nur, sie wären nicht auf einer Lebenslüge aufgebaut worden. »Ich habe ihn auch nicht gegessen, wenn ich mich recht erinnere.«
Ihre Stiefmutter seufzte. »Also gut, kein Secret Service. Aber du meldest dich in regelmäßigen Abständen, ja?«
»Versprochen.«
Sie umarmten sich ein letztes Mal, dann verließ Sloane das Hotel durch den Hintereingang, denn vor dem Haus hatte
sich bereits eine Reporterschar versammelt. Sie würde nach Hause fahren, rasch packen und dann sofort aufbrechen.
Um Samson Humphrey zu treffen und zu warnen.
Im Augenblick wusste sie nicht, was wichtiger war.
Nach der Pressekonferenz, bei der Senator Carlisles älteste Tochter durch Abwesenheit geglänzt hatte, folgte Chase Roman, um Madeline Carlisle vorgestellt zu werden, die eifrig damit beschäftigt war, Glückwünsche der Anhänger ihres Mannes entgegenzunehmen.
Als sie Roman sah, machte das professionelle Lächeln auf ihrem Gesicht aufrichtiger Freude Platz, und sie entschuldigte sich rasch bei der Menge, die sie
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