Für eine Nacht
Carlisles. Madeline schloss die Tür hinter ihnen und drehte den Schlüssel um.
Chase wartete, bis sie es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte, ehe er gleichfalls Platz nahm. Er beobachtete Menschen gern unauffällig, um sich ein Bild von ihnen zu machen, und Madeline Carlisle interessierte ihn ganz besonders.
Aber Roman, dieser ruhelose Geist, brachte es wie üblich nicht fertig, still sitzen zu bleiben. Er schlenderte durch den Raum, blieb hier und da stehen, nahm irgendwelche Gegenstände in die Hand, stellte sie wieder weg und setzte seine Wanderung fort.
Madeline faltete die Hände im Schoß. Ebenso wie Chase schien sie es vorzuziehen, geschäftliche Dinge in Ruhe zu besprechen. »Heute Morgen habe ich Charlotte angerufen.«
»Im Geschäft?«, fragte Roman von der anderen Seite des Zimmers her.
Madeline nickte. »Ich wollte wissen, ob einer von euch beiden in den nächsten Tagen nach Hause zurückfliegt. Nach Yorkshire Falls.«
Chase kannte die Frau des Senators zwar nicht näher, aber sogar in seinen Ohren klang die Frage merkwürdig. Roman und Charlotte pendelten ständig zwischen ihrer Heimatstadt und Washington, wo Roman als Reporter arbeitete, hin und her. Charlotte hatte erst kürzlich in der Hauptstadt eine Filiale ihres Wäschegeschäfts Charlottes Attic eröffnet. Aber wieso sollte sich Madeline Carlisle dafür interessieren?
»Leider müssen wir die nächste Woche in Washington bleiben«, antwortete Roman. »Auf mich wartet hier ein ganzer Berg Arbeit.«
»Ja, ich glaube, Charlotte deutete etwas in dieser Richtung
an. Wie steht’s mit Ihnen?« Ihr Blick wanderte zu Chase, und diesmal musterte sie ihn so eindringlich, dass er sich vorkam, als läge er unter einem Mikroskop. »Gilt das auch für Sie?«
»Ich muss morgen wieder nach Hause.« Chase hatte das Gefühl, dass sie auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte, wusste aber nicht, was das sein konnte. Nachdenklich zwickte er sich mit den Fingern in die Nasenwurzel.
Eine lange Pause trat ein. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, erkundigte er sich in der Hoffnung, sie werde die Katze endlich aus dem Sack lassen.
Madeline öffnete ihre Handtasche und zog ein Foto heraus, das sie jedoch so hielt, dass er es nicht sehen konnte. »Ich suche jemanden, der meine Tochter im Auge behält.«
»Sloane?«, fragte Roman, ehe Chase reagieren konnte.
Madeline strich mit dem Finger über die Rückseite des Fotos. »Als ich sagte, sie fühle sich nicht wohl, war das keine Ausrede, um ihr Fehlen bei der Pressekonferenz zu entschuldigen. Sie hat ... persönliche Probleme, die sie verarbeiten muss, deswegen braucht sie etwas Zeit für sich selbst.« Sie blickte Chase an und nagte an ihrer Unterlippe. »Was ich Ihnen sage, ist streng vertraulich, das verstehen Sie sicher.«
»Natürlich.« Chase brannte darauf, einen Blick auf das Foto zu werfen, aber sie war noch nicht gewillt, sich in die Karten schauen zu lassen.
Madeline stieß vernehmlich den Atem aus. Offenbar war ihr ein Stein vom Herzen gefallen. »Ich vertraue Roman und Charlotte, und ich halte mich für eine gute Menschenkennerin, deshalb spreche ich so offen mit Ihnen.«
»Sie werden es nicht bereuen«, versicherte Chase ihr. Was er von sich nicht unbedingt behaupten konnte. Er legte den Arm auf die Sofalehne und wartete darauf, dass sie weitersprach.
Madeline rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Hoffentlich nicht. Sehen Sie, Sloane hat sich sozusagen eine kleine Auszeit genommen. Sie ist in die Geburtsstadt ihrer Mutter gefahren. In Ihre Heimatstadt«, sagte sie zu Chase.
»Warum?«, mischte sich Roman in die Unterhaltung ein.
»Gute Frage«, brummte Chase.
»Aber eine leicht zu beantwortende. Yorkshire Falls ist eine ruhige, beschauliche Kleinstadt. Sloane will sich den Ort ansehen, wo ihre Mutter aufgewachsen ist, weil sie hofft, dort einiges über sich selbst zu erfahren. Zu ihren Wurzeln zu finden, könnte man sagen.«
Eigenartig, dachte Chase. Senator Carlisles Tochter wählte ausgerechnet ein kleines Provinznest für ihren Selbstfindungstrip aus? Wo sich ihr gesamtes Familienleben in Washington abspielte? Die Geschichte wies einige Ungereimtheiten auf. »Und wie komme ich da ins Spiel?«
»Kennen Sie das alte Sprichwort ›Eine Hand wäscht die andere‹?«, fragte Madeline unschuldig.
»Sie wollen mir einen Handel vorschlagen? Was würde denn dabei für mich herausspringen?«, gab Chase unverblümt zurück.
»Ihr Stil gefällt mir.« Madeline strich sich das Haar
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