Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
gegen ihre Gewohnheit ließ sie sich von ein paar Kindern zu einem Schlagballspiel am Strand überreden und war ganz überrascht, dass es ihr sogar Spaß machte.
»Siehst du«, sagte ihre Mutter triumphierend. »Das Einzige, was dir gefehlt hat, war eine sinnvolle Beschäftigung.«
Vielleicht, dachte Jane und schaute kurz zu Terence ’ Haus hinauf. Sie fragte sich, wie viele Kapitel er wohl übers Wochenende zu Papier bringen würde.
Am Montagmorgen eilte Jane atemlos über den Strand und den Klippenweg hoch.
»Ich finde nicht, dass D. H. Lawrence so gut schreiben kann wie Sie«, sagte sie mit ernster Miene zu Terence und lief rot an, als er daraufhin herzhaft lachte und ihr auf die Schulter schlug.
»Danke«, prustete er schließlich. Aber sie hatte keine Ahnung, was ihn so belustigt hatte. Es stimmte doch.
Lawrence schwafelte nur herum, während Terence direkt zur Sache kam. Er ließ einen genau empfinden, was die Figuren fühlten, auch wenn er hin und wieder mal Wörter benutzte, die sie noch nie gehört hatte. Seine Reaktion verunsicherte sie ein bisschen, trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie ihm eine Freude gemacht hatte.
Voller Eifer nahm sie sich wieder sein Manuskript vor. Sie fand Anita Palmers Zwangslage viel faszinierender als die von Constance Chatterley.
Nach und nach hatte sie sich an Terence’ krakelige Schrift gewöhnt und kam immer schneller voran mit dem Abtippen. Wenn sie auf Wörter stieß, die sie nicht kannte, nahm sie das Fremdwörterlexikon aus dem Regal und schlug sie nach. Bisher hatte sie sich nie besonders für Sprache interessiert, und es verblüffte sie, dass es Wörter für Gefühle gab, die sie in ihrem Leben noch gar nicht kennengelernt hatte.
Auf einmal bereute Jane es, in der Schule nicht besser aufgepasst zu haben, aber keiner ihrer Lehrer hatte je in ihr das Bedürfnis geweckt, zu lesen oder ihren Wortschatz zu erweitern. Jane benutzte stets Adjektive wie »nett«, »gut« und »lustig«, während sie jetzt an nur einem einzigen Vormittag Ausdrücke entdeckte wie »überschwänglich«, »brillant« und »ausschweifend«. Nicht dass sie jemals eins dieser Wörter in ihrem alltäglichen Sprachgebrauch verwenden würde, aber sie fand sie interessant. Irgendwie anregend. Ihre Finger flogen nur so über die Tasten.
Von Zeit zu Zeit lud Terence sie zum Mittagessen ein. Allmählich konnte sie sich in seiner Gegenwart auch etwas mehr entspannen. Er bellte zwar, aber er biss nicht. Jane fand sogar den Mut, seinen Schreib tisch aufzuräumen; das war jeden Morgen nötig, und er schien nichts dagegen zu haben, dass sie die leeren Tassen und Gläser wegräumte – er trank anscheinend ziemlich viel – und den Aschenbecher leerte.
Als er eines Nachmittags zu ihr ins Zimmer kam, saß sie über den Tisch gebeugt da, den Kopf auf die Arme gelegt, und schluchzte.
»Was ist denn los?«, fragte er.
»Das neunte Kapitel«, antwortete Jane unter Tränen. »Ich kann einfach nicht glauben, dass sie das tut! Sie liebt ihn mehr als alles andere auf der Welt. Und mehr als alles andere auf der Welt wünscht sie sich ein Kind.«
Anita Palmer und Joe Munden hatten sich auf eine Affäre eingelassen, die mit unvermeidlichen Konsequenzen verbunden war.
»Sie würde es doch niemals abtreiben!«, beharrte Jane unglücklich. »Sie müssen das ändern.«
Terence zog sie an sich, strich ihr über das Haar und ließ sie an seiner Schulter weinen.
»Ach, Jane«, seufzte er. »Ich kann das nicht ändern. Und ich kann es deshalb nicht, weil es so wirklich geschehen ist.«
Sie schob sich von ihm weg und sah ihn mit großen Augen an, als sie begriff. »Das sind Sie!«, rief sie aus. »Sie sind Joe Munden!«
Er nickte und wandte sich ab, die Augen leicht zusammengekniffen. Kämpfte er gegen Tränen an?
»Das ist ja schrecklich«, flüsterte sie. »Wie furchtbar! Wo ist sie jetzt?«
Er zuckte die Achseln. Wirkte niedergeschlagen.
Ohne darüber nachzudenken, schlang Jane die Arme um ihn.
Eigentlich war es nicht Terence, den sie umarmte, sondern Joe. Den unreifen jungen Mann, dessen Zukunft über ihm zusammenbrach, dessen Welt auf den Kopf gestellt worden war von einer Frau, die es eigentlich besser hätte wissen müssen.
»Ach, Jane …« Ihm versagte die Stimme. Er hob ihr Kinn an und beugte sich über ihr Gesicht. Durch ihre eigenen Tränen konnte sie seine sehen. Eine ganze Weile schauten sie sich nur an, und dann küsste er sie.
Jane fühlte sich, als würde sie fallen. Alle Nervenenden in
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