Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
Eisige Missachtung, wenn er sie kaum zu sehen schien, wechselte sich mit hitziger Leidenschaft ab, wenn es für ihn nichts anderes auf der Welt zu geben schien als sie. Merkwürdigerweise steigerte diese Ungewissheit ihre Gefühle noch. Natürlich war sie untröstlich, wenn sie abends wieder zu ihrer Familie ging, ohne auch nur ein Wort mit ihm ge wechselt zu haben, aber umso aufregender war es dann, wenn sie am nächsten Tag wieder der Mittelpunkt seines Universums war.
Sie träumte davon, seine Muse zu werden. Sie träumte von Zeitungsartikeln über ihn, in denen Terence Shaw bekannte, dass er kein einziges Wort schreiben konnte, wenn sie nicht in seiner Nähe war, in denen er schwärmte, wie sehr sie ihn inspirierte. Sie träumte von einem Haus in London mit einem gelben Salon, von Dinnerpartys, zu denen sie in den neuesten Kreationen der berühmtesten Modeschöpfer erschien. Mr. und Mrs. Shaw. Sie würde seine Romane tippen, und er würde niemanden sonst in die Nähe seiner Meisterwerke lassen. Sie würde seine rechte Hand sein, seine Glücksfee, die Frau, ohne die er nicht zu leben vermochte.
Und ein Kind! Sie würden ein Kind bekommen. Oder vielleicht drei. Sie träumte von süßen kleinen Kindern, die das klaffende Loch füllen würden, das die wirkliche Anita, wer auch immer sie war, in seinem Herzen hinterlassen hatte. Er hatte sich von diesem Verlust nie erholt, das wusste sie, aber sie würde ihm darüber hinweghelfen. Wie würden sie wohl sein, ihre Kinder? Ein bisschen einfältig, so wie sie? Oder Genies wie er? Er würde ihr ewig dankbar sein, weil sie ihm seinen größten Wunsch erfüllt hatte. Und sie würden in Everdene Ferien machen, und er würde den Kindern die fantastischsten Sandburgen bauen, um die er die wunderlichsten Geschichten erfinden würde …
Trotzdem übte Jane nie Druck auf ihn aus. Sie fragte ihn nie nach ihrer Zukunft. Dazu war sie viel zu vernünftig. Aber wenn er sie anschaute, nachdem sie sich geliebt hatten und seine Lippen ihren Mund suchten, wusste sie, dass er sie brauchte.
Sie staunte, wie sich ihr Leben verändert hatte. Noch vor Kurzem hatte sie am Strand gehockt, sich nach Glamour und Londoner Nachtleben gesehnt, während der Schlüssel zu ihrem Glück sich nicht einmal einen Kilometer weit weg befunden hatte – und ihre Mutter hatte ihn entdeckt.
Natürlich bildete sich Prue eine Menge auf Janes Verwandlung ein.
»Du brauchtest einfach nur eine sinnvolle Beschäftigung«, sagte sie wiederholt zu Jane. »Müßiggang ist aller Laster Anfang.«
Jane unterdrückte ein Lächeln, als sie daran dachte, welchem Laster sie in den letzten Wochen vor allem gefrönt hatte. Ihre Mutter wäre entsetzt! Und doch würde sie ihr irgendwann reinen Wein einschenken müssen. Sobald Terence sie mit nach London nahm. Aber das würde erst passieren, wenn er seinen Roman fertig geschrieben hatte. Weiter konnte er einfach nicht in die Zukunft blicken, und sie würde ihn bestimmt nicht ablenken. Geduld war alles, was sie brauchte.
In der Zwischenzeit tippte sie gewissenhaft die Worte, die jetzt immer schneller aus ihm herausflossen und auf den Höhepunkt der Geschichte zusteuerten. Es war ein Meisterwerk. Das brauchte ihr niemand zu sagen. Jane nahm weiterhin großen Anteil am Schicksal der beiden Hauptfiguren, war fasziniert von ihrer persönlichen Entwicklung, teilte ihr Glück und ihren Kummer und konnte es kaum erwarten zu erfahren, wie das Buch ausging. Niemand würde sich dem Sog dieser Erzählung widersetzen können. Janes Stolz auf Terence wuchs von Kapitel zu Kapitel.
Es kam der Tag, an dem der Roman fertig war. Als Terence ihr mit fiebrig glänzenden Augen die letzten fünf Seiten brachte, sprang sie spontan auf und fiel ihm um den Hals. Er zog sie an sich und begann sie zu küssen, aber ausnahmsweise entwand sie sich ihm.
»Nein. Ich will es erst zu Ende abtippen. Ich will wissen, wie die Geschichte ausgeht. Geh nur. Ich rufe dich, sobald ich fertig bin.«
Missmutig ging er nach unten.
Lachend strich Jane die Seiten glatt und spannte ein neues Blatt für den Endspurt ein. Sie war fast fertig, als sie ein Auto in der Einfahrt hörte.
Jane schaute aus dem Fenster. Ein leuchtend gelber Mini wurde vor dem Eingang geparkt. Und aus dem Wagen stieg die schönste Frau, die Jane je gesehen hatte, im kürzesten Kleid, das sie je gesehen hatte, und in weißen, kniehohen Stiefeln – der absolut letzte Schrei. Jane konnte vom Fenster aus ihre langen Wimpern erkennen und riesige
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